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Politische Ökonomie und  Sexualökonomie
 

Bernd Senf in 
»emotion 2«
- die-wilhelm-reich-zeitschrift
Triebenergie, Charakterstruktur, Krankheit und Gesellschaft

»emotion«
will den Versuch machen, den inneren Zusammenhang der Reichschen Forschungen in möglichst verständlicher Form herauszuarbeiten und deren Bedeutung für die emanzipatorische Bewegung zu diskutieren. Dieser Versuch ist schon deshalb nicht leicht, weil die Forschungen von Reich immer wieder die traditionellen Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen gesprengt haben. 

Die neuste Ausgabe ist beim Ulrich Leutner Verlag zu erhalten!
 

 

 

 


Die Forschungen Wilhelm Reichs (II) (1981)
Von Bernd Senf  
Vollständiger Artikel als PDF Datei (230k)  

Die Entdeckung der Orgonenergie und Bione
Orgonakkumulator und bioenergetische Krebsforschung

Im folgenden wird der Weg beschrieben, auf dem Wilhelm Reich über eine zu­nehmend naturwissenschaftliche Erforschung menschlicher Emotionen zur Entdeckung der ihnen zugrundeliegenden Lebensenergie Orgon kam. Der Weg führte ihn über die Untersuchung von Pulsationsvorgängen und Plasmabewegungen in lebenden Organismen zur entsprechenden Beobachtung von Einzellern und zur Frage nach der Entstehung von Leben (Biogenese), die er mit seinen Bionexperimenten entschlüsselte. Die dabei auftretenden lebensenergetischen Strahlungsphänomene brachten ihn zur Entwicklung des Orgonakkumulators, mit dem die Lebensenergie verdichtet und für vielfältige Anwendungen unter anderem thera­peutisch nutzbar gemacht werden konnte. Es wird dargestellt, wie Reich auf dieser Grundlage ein bioenergetisches Verständnis von Krebs und entsprechende orgon­energetische Behandlungsmethoden entwickelte.

Emotion und plasmatische Pulsation der Zellen 

Die Entdeckung der funktionellen Identität bei gleichzeitiger Gegensätzlichkeit von Lust und Angst führte Reich zu der Frage, ob es sich hierbei um ein allgemeines biologisches Prinzip handele, das nicht gebunden sei an die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit. Es fiel auf, daß ja auch Tiere einem solchen biologischen Grundmuster zu unterliegen scheinen, das sie in bestimmten Situationen entspannt, ausgestreckt, »hin zur Welt« geöffnet sein läßt, während sie sich in anderen, gefahrvollen Situationen zusammenziehen, »in sich verkriechen«, abpanzern und starr werden. Überall ließen sich diese Reaktionen beobachten, sei es bei Katzen, bei Schnecken (die sich bei Gefahr in ihr Schneckenhaus verkriechen) oder bei Igeln (die sich einigeln). Wenn es sich um eine allgemeine biologische Reaktion handelte, dann müßte sie sich auch an den primitivsten Lebe­wesen, den Einzellern (Protozoen), beobachten lassen. Unter diesem Gesichtspunkt ging Reich 1935 an die systematische Untersuchung von Einzellern, um deren Bewegungsabläufe genauer zu studieren. Im Zu­sammenhang mit diesen Forschungen stieß er auf Erkenntnisse, die von fundamentaler Bedeutung werden sollten für die Entdeckung einer alle Lebensprozesse antreibenden biologischen Energie und schließlich für das grundlegende Verständnis des Funktionsmechanismus der Krebserkrankung.
Für das Studium der Bewegungsabläufe von Einzellern war es wichtig, im Unterschied zur üblichen Vorgehensweise der Mikrobiologie, die Untersuchungen an lebenden Zellen vorzunehmen. Tatsächlich ließ sich an ihnen beobachten, daß sie sich in gefahrlosen Situationen ausdehnten und eine ständige innere Pulsationsbewegung hervorbrachten, während sie in gefahrvollen Situationen (bei Zuführung von elektrischen Reizen) vorübergehend in ihrer Pulsation erstarrten. Es ließ sich auch zeigen, daß bei wiederholten derartigen Reizen nach der Kontraktion und Erstarrung keine Expansion mehr erfolgte, sondern daß die Erstarrung chronisch wurde und daß sie auch dann noch anhielt, wenn keine neuen Reize mehr erzeugt wurden.
Bei der
Kontraktion und Abpanzerung handelt es sich offenbar um eine biologische Reaktionsweise des lebendigen Zellplasmas, die unabhängig von der Existenz eines Gehirns oder eines Nervensystems schon in primi­tivsten Lebewesen angelegt ist. Die Expansion des Zellplasmas beim Einzeller schien funktionell identisch zu sein mit dem Nach-außen-Strömen der Körperflüssigkeit und der bioelektrischen Energie bei höheren Lebe­wesen, das heißt mit Lust; die plasmatische Kontraktion wäre demnach funktionell identisch mit der nach innen gerichteten Strömung von Kör­perflüssigkeit und Energie, das heißt mit Angst. Bei allen Unterschieden zwischen Mensch und Einzeller ließen sich auf diese Weise am Grund des biologischen Funktionierens gemeinsame Funktionsprinzipien heraus­arbeiten: Lust als plasmatische und bioenergetische Expansion, Angst als plasmatische und bioenergetische Kontraktion. Das Wesen der biologischen Energie, die diese Prozesse antreibt, war bis dahin allerdings noch unbekannt. Bekannt war nur, daß sich ihre Wirkung in bestimmten Veränderungen der elektrischen Spannung niederschlug.

Für seine Forschungszwecke hatte sich Reich die Präparate mit den Einzellern zunächst von einem botanischen Institut liefern lassen, war dann aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich Einzeller auf sehr einfache - und unter Biologen allgemein bekannte - Art gewinnen lassen: dadurch nämlich, daß man getrocknetes Gras in Wasser legt und beides zusammen einige Tage lang stehenläßt. Auf diese Weise würden sich in dem Heuaufguß von selbst Einzeller bilden. Die übliche »Erklärung« für diesen Vorgang war die, daß sich in der Luft befindliche Keime in diesem Heuaufguß niederlassen und danach von selbst ver­mehren. Für Reich allerdings war diese Erklärung unbefriedigend, und er nahm sich vor, den Prozeß der Entstehung dieser Einzeller genauer zu untersuchen. Unter dem Lichtmikroskop hatte er nämlich beobachtet, daß sich am Zellgewebe des Grases selbst bestimmte Auflösungsprozesse vollziehen, bei denen sich kleine Bläschen bilden. Nach längerer Zeit schienen sich diese Bläschen vom Gewebe abzulösen und zu neuen Formationen zu organisieren. War das Auftreten von Einzellern vielleicht gar nicht auf Luftkeime von außen zurückzuführen, sondern auf einen inneren Prozeß des Gewebezerfalls und der daraus entstehenden Neubildung von Zellen?

Um diesen Prozeß genauer zu untersuchen, mußten die Untersuchungsmethoden verbessert werden: Die übliche maximale Vergrößerung von Lichtmikroskopen (cirka 1500x) reichte nicht aus, um die Bewegungen der Bläschen zu studieren. Reich arbeitete deshalb mit einer Spezial­anfertigung, die eine Vergrößerung bis zu 5000x und das Aufnehmen der Bewegungen mit Hilfe einer Zeitrafferkamera ermöglichte. Bei einer 3000fachen Vergrößerung und mehr zeigte sich im Zeitrafferfilm, daß die Bläschen im Laufe mehrerer Tage miteinander zu größeren Einheiten verschmolzen, die ihrerseits schwache Bewegungen von Expansion und Kontraktion hervorbrachten. Da es sich bei den Bläschen offenbar um Vorformen des Lebendigen handelte, nannte sie Reich »Bione«. 

Die Entstehung von Leben aus nicht-lebender Substanz 

Um zu überprüfen, ob die pulsierenden Einheiten möglicherweise nur das Ergebnis von lebenden Keimen waren, arbeitete Reich unter sterilen Be­dingungen, das heißt, er erhitzte die Substanzen auf eine Temperatur, bei der lebende Keime nicht mehr existieren können. Die Bildung der Bione, aus denen sich die pulsierenden Einheiten entwickelten, wurden aber dadurch nicht unterbunden, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Bione bildeten sich im übrigen nicht nur durch die Erhitzung und Quellung von Heu, sondern auch bei Verwendung anderer organischer und an­organischer Substanzen (Muskelgewebe, Erde, Meeressand, Kohlestaub, Eisenstaub und anderem). Besonders stark war die Bion-Bildung beim Glühen und Quellen von Meeressand. Die dabei entstehenden sogenann­ten SAPA-Bione (»SAnd-PAket«) brachten eine starke Strahlung hervor, was sich unter anderem daran zeigte, daß sich die Augen der Beobachter regelmäßig stark entzündeten. (Wie sich erst später herausstellte, handelte es sich hierbei um eine bis dahin in der Physik unbekannte und von Reich entdeckte biologische Energie, die er später »Orgon« nannte.) Die SAPA-Bione zeigten unter dem Mikroskop im übrigen ein starkes bläuliches Leuchten in ihrem Inneren, einen bläulichen Rand und ein über die stofflichen Grenzen hinausgehendes bläulich leuchtendes Feld - Eigenschaften, wie sie sich auch bei allen lebenden Zellen beobachten ließen. Diese leuchtenden Eigenschaften waren allerdings nie bei totem Gewebe zu beobachten, das sich ansonsten in der stofflichen Struktur vom lebendigen Gewebe nicht zu unterscheiden brauchte. Das unter starker Vergrößerung zu beobachtende bläuliche Leuchten von Zellen oder Bio­nen und die damit einhergehende Strahlung schienen ein besonderes Kennzeichen des Lebendigen zu sein. Die pulsierenden und strahlenden Einheiten, von denen vorhin die Rede war, ergaben sich dabei als fließende Übergänge aus der Auflösung toter (organischer und anorganischer) Substanz, deren Zerfall in Bione und der Verschmelzung der Bione zu größeren Einheiten.

Eine scharfe Trennung zwischen lebender und nicht-lebender Substanz (wie es die Biologie bis dahin angenommen hatte) schien es demnach gar nicht zu geben. Vielmehr deutete einiges darauf hin, daß sich das Leben­dige jederzeit und mit fließenden Übergängen aus nicht-lebender Sub­stanz spontan herausbildet. Vielleicht stellten die Bione Übergangsformen zwischen toter und lebender Substanz auf dem Weg der spontanen Her­ausbildung von Einzellern dar - und die in ihnen gebundene Energie die treibende Kraft der Entstehung von Leben. Ausgehend von dieser Hypo­these brachte Reich strahlende SAPA-Bione in eine Lösung, die alle stoff­lichen Voraussetzungen für den Aufbau von Zellen enthielt (das heißt alle chemisch notwendigen Stoffe). Tatsächlich ließ sich experimentell an­hand der Zeitrafferfilme nachweisen, daß sich die dabei entstehenden Bione im Laufe mehrerer Wochen unter Aufnahme der entsprechenden chemischen Substanzen zu lebendigen Einzellern organisierten. Damit war der experimentelle Nachweis für die Entstehung des Lebens aus nichtlebender Substanz gelungen (»experimentelle Biogenese«). Neben allen stofflichen Voraussetzungen bedarf es offenbar noch einer spezifischen, in den Bionen gebundenen und den Lebensprozess organisierenden Energie. Was war das für eine Energie, auf die Reich hier gestoßen war? Konnte sie mit den Begriffen der traditionellen Physik umschrieben werden, oder war zu ihrem Verständnis eine Erweiterung des traditionellen physika­lischen, Weltbildes erforderlich? Bevor auf diese Frage und die damit zusammenhängenden Forschungen von Reich eingegangen wird, sollen noch einige experimentelle Ergebnisse der Bion-Forschung und ihre Be­deutung für ein biophysikalisches Verständnis des Lebendigen und der Emotionen skizziert werden. 

Leben als Einheit von stofflicher Substanz und Lebensenergie 

Die Untersuchungen hatten ergeben, daß der Unterschied zwischen Leben und Nicht-Leben nicht in irgendwelchen stofflichen Unterschieden zu suchen ist, sondern in der Anwesenheit oder Abwesenheit einer biologi­schen Energie, die sich mikroskopisch in einem bläulichen Leuchten der Bione beziehungsweise Zellen zeigte. Ein weiteres Merkmal des Leben­digen besteht in der ständigen Pulsation des Zellplasmas, in dem Wechsel zwischen Expansion und Kontraktion. Diese Pulsation hängt nach Reich zusammen mit der in der Zelle gebundenen Lebensenergie: Sie exi­stiert nur in Zusammenhang mit dem bläulichen Leuchten der Zellen, was bei allen toten und nicht mehr pulsierenden Zellen fehlt. Eine lebende Zelle ist demnach immer eine Einheit von stofflicher Substanz und Lebens­energie, wobei die Energie den Prozeß der plasmatischen Pulsation antreibt. Mangel an biologischer Energie in den Zellen bedeutet deshalb Beeinträchtigung der plasmatischen Pulsation und entsprechend Beeinträchtigung der Lebensfunktion der Zellen. Untersuchungsmethoden, die sich nur auf die stoffliche Struktur der Zel­len konzentrieren - und sei es auch mit den feinsten Auflösungsmetho­den wie denen der heutigen Elektronenmikroskopie -, bleiben damit notwendigerweise blind gegenüber einem wesentlichen Bestimmungs­moment des Lebendigen: dem bioenergetischen Anteil. Vom methodi­schen Ansatz her bleibt ihnen der Zugang zum Verständnis des Leben­digen und damit auch zum grundlegenden Verständnis seiner Störungen in Form von Krankheiten konsequenterweise verschlossen. Für Reich hingegen hat die Entdeckung dieses »Doppelcharakters des Lebendigen« (Einheit von stofflicher Substanz und biologischer Energie zu sein) den Weg geöffnet für das Verständnis der Wurzel bioenergetischer Erkran­kungen, bis hin zum Krebs. 

Orgonotische Erstrahlung und sexuelle Erregung 

Die Beobachtung der Bione brachte noch weitere - für das biophysikalische Verständnis der Emotionen grundlegende - Ergebnisse hervor: Bione haben die Tendenz, sich gegenseitig anzunähern (Attraktion), wobei ab einer gewissen Entfernung eine »Strahlungsbrücke« entsteht, das heißt ein wechselseitiges Überspringen von Energie. Dieser Vorgang geht einher mit einer intensiveren »orgonotischen« Erstrahlung und einer stärkeren Anziehung der Bione, deren stoffliche Grenzen sich schließlich auflösen und die sowohl stofflich als auch energetisch miteinander ver­schmelzen. Die stärkere orgonotische Erstrahlung der Bione bei wechselseitigem Durchdringen ihrer Energiefelder sieht Reich als funktionell identisch mit der sexuellen Erregung: Auch bei sexueller Erregung über­lagern sich - schon vor dem körperlichen Kontakt zweier Menschen - deren bioenergetische (»orgonotische«) Felder, und die entstehende Erregung erzeugt eine spontane Anziehung. Im voll befriedigenden Orgasmus lösen sich (im Unterschied zu den Bionen) zwar nicht die Körpergrenzen auf, wohl aber verschmelzen die Emotionen zu einem Ganzen (und erzeugen dadurch subjektiv das Gefühl der Auflösung der eigenen Körpergrenzen).

»Beim Einzeller folgt der Verschmelzung in der Kopulation eine gegen­seitige Durchdringung von Körpersubstanz. Verschmelzung und Durch­dringung sind sowohl stoffliche wie energetische Vorgänge. Diese Vor­gänge sind aber beim Vielzeller energetisch weit vollständiger als stoff­lich [...]. Während bei den mehrzelligen Tieren die Verschmelzung auf die genitalen Organe und die generativen Zellen beschränkt bleibt, funktioniert sie orgonotisch total, das heißt zwei kopulierende Lebe­wesen (beim Menschen orgastische Potenz vorausgesetzt) verschmelzen vorübergehend zu einem orgonotischen Energiesystem.« (Reich 1976a: 64f)
Daraus folgt aber auch: Ist das bioenergetische Potential eines Menschen durch Blockierung seiner Emotionen herabgesetzt und damit seine »Aus­strahlung« reduziert, so mangelt es ihm beziehungsweise ihr auch an lebendiger »Attraktion«. Selbst bei körperlichem Kontakt kann deswegen die sexuelle Erregung mehr oder weniger ausbleiben (orgastische Im­potenz). Dementsprechend ist auch für die emotionelle Befriedigung beim Stillen eines Säuglings nicht allein der Körperkontakt zwischen Mutter und Kind entscheidend, sondern der orgonotische Zustand, das heißt der Grad an emotioneller Lebendigkeit und Hingabefähigkeit der Mutter. Frauen mit körperlich-muskulärer und emotioneller Blockierung im Bereich der Brust (vegetotherapeutisch gesprochen: mit einer Panze­rung des Brustsegments) sind entweder gar nicht in der Lage, ihre Kin­der zu stillen, oder aber die für ein befriedigendes Säugen erforderliche Erregung kommt nicht zustande. Unter solchen Bedingungen bleiben auch gestillte Kinder oral frustriert und entwickeln entsprechende charak­terliche Panzerungen. Befriedigender Körperkontakt ist also gemäß die­sen Forschungen niemals nur mechanisch, sondern immer auch orgo­notisch. Wo das orgonotische Potential durch Blockierung der Emotionen reduziert ist, ist die Erregungsfähigkeit entsprechend vermindert....


Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (230k) zu finden:

  • Physikalische Aspekte der Orgonenergie

  • Die Entwicklung des Orgonakkumulators

  • Die Entdeckung des Orgons in der Atmosphäre

  • Orgonenergie - Erweiterung des physikalischen Weltbildes

  • Der Weg in die Krebsforschung

  • Gewebezerfall und Entstehung innerer Krebserreger

  • Bioenergetischer Zustand und Krebsprozeß

  • Krebs als bioenergetische Funktionsstörung des Gesamtorganismus

  • Bioenergetische Stärkung des Organismus und Umkehrung des Krebsprozesses

  • Der therapeutische Einsatz des Orgonakkumulators

  • Grenzen der orgonotischen Krebstherapie

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Politische Ökonomie und Sexualökonomie (1981)
Von Bernd Senf   Vollständiger Artikel als PDF Datei (224k)   

Der folgende Artikel knüpft an eine Fragestellung an, die Wilhelm Reich in seinem 1929 erschienenen Aufsatz "Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse" erstmals aufgeworfen hat: die Frage nach einer möglichen Synthese zwischen Psychoanalyse und Marxismus. Um den Stellenwert dieses Aufsatzes einschätzen zu können, soll zuvor kurz auf die vorangegangene Entwicklung eingegangen werden. 

I. Reichs Versuch einer Synthese zwischen Psychoanalyse und Marxismus 

In seiner Tätigkeit als Psychoanalytiker war Reich schon in den 20er Jahren konfrontiert worden mit einem massenhaften psychischen Elend. Es erschien ihm immer dringlicher, die Arbeit nicht auf die Therapie am einzelnen Menschen zu beschränken, sondern gleichzeitig den gesellschaftlichen Bedingungen entgegenzuwirken, die dieses Elend immer wieder hervorbringen. Je mehr er erkannte, daß die Neurosen kein unabwendbares Schicksal, sondern vor allem Ergebnis der sexuellen Unterdrückung sind, umso notwendiger erschien es ihm, den sexualfeindlichen Ideologien und gesellschaftlichen Institutionen den Kampf anzusagen und für die Befreiung der Sexualität aus ihren gesellschaftlichen und moralischen Zwängen einzutreten.

Bei seinem Versuch, seine psychoanalytischen Kollegen einschließlich Freud für ein derartiges Engagement zu gewinnen, stieß er immer mehr auf Ablehnung. Dies mag damit zusammenhängen, daß sich die Psychoanalyse - nach Jahren der Ignorierung, Verspottung und Verhöhnung - allmählich zunehmender gesellschaftlicher Anerkennung erfreute und die Psychoanalytiker inzwischen eine einträgliche therapeutische Praxis aufgebaut hatten. Es mag auch damit zusammenhängen, daß sich die meisten von ihnen durch ein zusätzliches politisches und gesellschaftliches Engagement überfordert fühlten. Jedenfalls wurde Reich mit seinen gesellschaftskritischen Thesen in den Reihen der psychoanalytischen Bewegung immer mehr als unbequemer Störenfried empfunden, der die Anpassung der Psychoanalytiker an die gegebenen Verhältnisse immer wieder gefährdete. 

Aus der Erkenntnis heraus, in der psychoanalytischen Bewegung keine Unterstützung für sein gesellschaftskritisches Engagement zu finden, wandte sich Reich an die organisierte linke Bewegung und wurde Mitglied der KP Österreichs und später der KPD.

Diese Entwicklung bildet den Hintergrund für seinen erstmals 1929 erschienenen Aufsatz "Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse", mit dem er versuchte, die nach seiner Einschätzung revolutionären Erkenntnisse der Freudschen Psychoanalyse in die damalige marxistische Diskussion hineinzutragen. Inhaltlich ging es ihm darum aufzuzeigen, daß sich marxistische Gesellschaftstheorie und Psychoanalyse nicht widersprechen, sondern sich im Gegenteil wechselseitig ergänzen können, und daß sie beide von den gleichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen ausgehen, nämlich einer Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus. Der Marxismus wende diese Methode für die Analyse der ökonomischen Bewegungsgesetze der Gesellschaft an, die Psychoanalyse bediene sich ihrer (ohne es zu wissen) für die Analyse innerpsychischer Bewegungsgesetze.

Der Aufsatz löste seinerzeit sowohl unter Psychoanalytikern als auch unter Marxisten eine heftige und teilweise sehr polemische Diskussion aus (1). In der Neuauflage des Aufsatzes, die 1934 vom Sexpol-Verlag herausgegeben wurde, schreibt Reich dazu im Vorwort: 

„Ich kann korrekterweise nicht länger verhehlen, daß alle Beteiligten sich von den hier dargelegten Zusammenhängen distanzierten. Freud lehnte die Beziehung von Marxismus und Psychoanalyse grundsätzlich ab und bezeichnete die beiden Disziplinen als einander konträr. Den gleichen Standpunkt beziehen die offiziellen Vertreter der Kommintern. In beiden Lagern wurde ich vor die Alternative gestellt, zwischen der Psychoanalyse und dem revolutionären Marxismus zu wählen. Ich überlasse es der Öffentlichkeit, zu beurteilen und in der Zukunft zu entscheiden, wer recht hat." (2) 

Der folgende Artikel will die von Reich aufgeworfene Fragestellung wieder aufgreifen und vertiefen. Während Reich in seinem Aufsatz noch weitgehend aus der Sichtweise und dem Begriffssystem der Psychoanalyse argumentiert hat, sollen im folgenden die Erkenntnisse der Reichschen Sexualökonomie zugrunde gelegt werden, die sich erst später als eine eigenständige Wissenschaft entwickelte und bestimmte problematische bzw. unscharfe Begriffe der Psychoanalyse (z.B. Todestrieb, Sublimierung) überwunden hat. Im übrigen soll auch der Schwerpunkt des folgenden Artikels ein anderer sein als in "Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse". Reich ging es damals darum, die Marxisten mit den Grundlagen der Psychoanalyse vertraut zu machen. Im Rahmen dieser Zeitschrift geht es umgekehrt darum, den Lesern einige Grundzüge der marxistischen politischen Ökonomie nahezubringen und deren Verhältnis zur Sexualökonomie zu diskutieren. 

II. Grundzüge der marxistischen politischen Ökonomie (3) 

1. Menschliche Entfremdung und ökonomische Struktur 

Wenn wir uns im folgenden mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus auf der Grundlage der Marxschen Mehrwerttheorie vertraut machen, sollten wir von vornherein bedenken, daß sich der Marxsche Ansatz vom Anspruch her nicht auf die Erklärung „rein ökonomischer“ Phänomene beschränkt, sondern daß er sich versteht als Grundlage für eine umfassende Gesellschaftstheorie. Wenn sich der späte Marx in seinem Hauptwerk »Das Kapital« vor allem auf die Untersuchung der ökonomischen Bewegungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise konzentriert hat, so deswegen, weil er zu der Erkenntnis gekommen war, daß von der ökonomischen Struktur einer Gesellschaft auch die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen, sowie ihr Denken und Handeln ganz wesentlich geprägt werden.

Bereits der frühe Marx war auf den entfremdeten Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen gestoßen und auf das entfremdete Verhältnis, das die Menschen zu ihrer Arbeit und zu sich selbst hatten. Er hatte die „Entfremdung“ als eine die ganze kapitalistische Gesellschaft durchdringende Erscheinung erkannt, und sie war für ihn Ausdruck dafür, daß sich die Menschen in der damaligen Gesellschaft weder individuell noch im Zusammenleben miteinander verwirklichen konnten. Marx versuchte insbesondere in seinen Frühschriften, die Entfremdung in den unterschiedlichsten Bereichen nicht nur zu beschreiben, sondern sie in einen inneren Zusammenhang zueinander zu stellen. Dabei unterschied er im wesentlichen vier Ebenen, auf denen sich die Entfremdung in unterschiedlicher Weise ausdrückte:

  • die Entfremdung der Menschen untereinander;

  • die Entfremdung des Menschen von sich selbst;

  • die Entfremdung des Menschen in der Arbeit;

  • die Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner Arbeit.

Wir wollen im folgenden versuchen, den Marxschen Entfremdungsbegriff näher kennenzulernen und nachzuvollziehen, daß die Entfremdungsproblematik für Marx konsequent hinführte zum eingehenden Studium der ökonomischen Bewegungsgesetze des kapitalistischen Systems, zur Untersuchung der Bedingungen der materiellen Produktion, aus denen heraus sich für Marx das Phänomen der Entfremdung überhaupt erst hinreichend erklären ließ. Der Kern der Entfremdung auf allen Ebenen kommt für Marx in folgender These zum Ausdruck: 

„Der Gegenstand, den Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine vom Produzenten unabhängige Macht gegenüber.“(4) 

Wieso entfremdet sich „der Produzent“, d.h. der Arbeiter, vom Produkt seiner Arbeit? Besteht die Entfremdung darin, daß der einzelne Arbeiter in einer Fabrik überhaupt nicht mehr den Produktionsprozeß überblickt, weil er nur eine ganz spezielle Teilverrichtung auszuführen hat und gar nicht mehr ein ganzes Produkt von Anfang bis Ende herstellen kann - wie früher der Handwerker? Oft weiß der Arbeiter nicht einmal mehr, wozu, seine Arbeit im Rahmen des ganzen Produktionsprozesses überhaupt gut ist, was aus den Teilen, die er bearbeitet, im weiteren Verlauf des Produktionsprozesses überhaupt wird. Wenn der Beitrag, den seine Arbeit zur Entstehung eines Produkts leistet, vollkommen untergeht und für ihn nicht mehr erkennbar ist, wie soll er sich dann mit dem Produkt seiner Arbeit identifizieren? Wie soll er sich schließlich in dem fertigen Produkt irgendwo wiederfinden? Sein Beitrag zum gesamten Produkt geht unter wie ein Wassertropfen im Meer. Vielleicht ist es dies, was das Produkt für ihn so fremd macht, für ihn als ein „fremdes Wesen“ erscheinen läßt. Ist es also die innerbetriebliche Arbeitsteilung, die Zerlegung des gesamten Produktionsprozesses in einzelne spezielle Teilverrichtungen, die mit Notwendigkeit eine Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner Arbeit hervorbringt?

Oder ist es die Tatsache, daß der Arbeiter gar nicht darüber bestimmen kann, was produziert wird und mit welchen Methoden, daß er einfach nur die Anordnungen des Meisters entgegennehmen und ausführen muß, ohne daß er selbst während seiner Arbeit etwas zu sagen hat? Ist es also die hierarchische Struktur des Arbeitsprozesses, die für den Arbeiter eine Identifizierung mit dem Produkt unmöglich macht? Denn daß er gerade dieses Produkt herstellt bzw. gerade diese Teilverrichtung ausführt, ist nicht das Ergebnis seiner eigenen Planung und Entscheidung, sondern Ausdruck eines fremden Willens. Liegt also in der innerbetrieblichen Hierarchie die Ursache dieser Art von Entfremdung?

Oder hängt die Entfremdung vom Produkt der eigenen Arbeit nicht vielmehr damit zusammen, daß der Arbeiter über dieses Produkt gar nicht selbst verfügen kann, sondern daß es Eigentum eines anderen wird, nämlich des Unternehmers, des Kapitalisten? Liegt also die Ursache der Entfremdung in den Eigentumsverhältnissen begründet, im Privateigentum an Produktionsmitteln und in der Tatsache, daß die von den Arbeitern produzierten Produkte letztlich dem Unternehmer den Profit ermöglichen?

Oder liegt Entfremdung auch schon dann vor, wenn ein Produzent z.B. als Handwerker zwar selbst über seine Produktionsmittel verfügt und sich auch den Verkaufserlös selbst aneignet, aber die Produkte eben doch für den Verkauf, d.h. für andere hergestellt werden und nicht für sich selbst; und unter Umständen für andere, die der Produzent gar nicht kennt, also für einen anonymen Markt. Ist es also die Produktion für den Austausch, die sogenannte Warenproduktion, die die Entfremdung mit sich bringt?

Belassen wir es zunächst bei diesen Fragen und versuchen wir, in diese hier angedeuteten Möglichkeiten ein wenig Ordnung zu bringen. Die angesprochenen Punkte, die als mögliche Ursachen für die Entfremdung des Arbeiters vom. Produkt seiner Arbeit genannt wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • die Produktion für den Austausch (Warenproduktion);

  • die Aneignung des Produkts durch den Kapitalisten (kapitalistische Eigentumsverhältnisse);

  • die Fremdbestimmung der Arbeit (innerbetriebliche Hierarchie);

  • die Zerstückelung des Arbeitsprozesses (innerbetriebliche Arbeitsteilung).

Wir könnten jetzt darüber streiten, welches der wichtigste und ausschlaggebende Punkt für die Entstehung von Entfremdung ist. Fest steht für Marx, daß für die Arbeiter in einer kapitalistischen Unternehmung alle Punkte zusammenkommen. Und dies nicht von ungefähr. Die Eigentumsverhältnisse etwa, d.h. das Privateigentum an Produktionsmitteln in der Hand weniger auf der einen Seite und die Lohnabhängigkeit für die Masse der Arbeiter auf der anderen Seite, bringen ja nicht nur die Aneignung der produzierten Produkte durch den Kapitalisten mit sich. Sie bedeuten ja auch Verfügungsgewalt über den Produktionsprozeß selbst. Was produziert wird, mit welchen Produktionsmethoden, und wie die Arbeiter im einzelnen eingesetzt werden, bestimmt nicht der Arbeiter, sondern letztlich der Kapitalist (der allerdings für die Ausübung dieser Funktion wieder Lohnabhängige einstellen kann). Die Fremdbestimmung in der Arbeit ist damit ebenfalls notwendige Begleiterscheinung kapitalistischer Produktions- und Eigentumsverhältnisse.

Was fängt nun der Kapitalist mit dem von ihm angeeigneten Profit an? Er kann ihn unter dem Druck der Konkurrenz nicht einfach verjubeln, sondern muß ihn wieder - mindestens zum großen Teil - dem Produktionsprozeß zuführen, muß im Vergleich zur Konkurrenz die Kosten möglichst niedrig halten und eine entsprechende Organisation des Produktions- und Arbeitsprozesses in seinen Betrieben durchsetzen. Die Herausbildung der innerbetrieblichen Arbeitsteilung und der Aufbau hierarchischer Strukturen sind also nichts anderes als ein Ergebnis dieses ständigen Drucks auf die Kosten, sind also auch zurückzuführen auf die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und auf die aus dem Privateigentum hervorgegangene Konkurrenz. Es ist demnach die kapitalistische Produktionsweise insgesamt, die die vielfältigen Bedingungen der Entfremdung hervorgebracht hat und in sich vereinigt.

Das bedeutet natürlich nicht, daß nicht auch schon in vorkapitalistischen Produktionsweisen Ansätze zur Entfremdung existieren. Bereits die Herausbildung der Warenproduktion, einer Produktion für den Austausch (und nicht für die Selbstversorgung) bringt Elemente von Entfremdung mit sich, auch wenn die Produzenten noch Eigentümer der Produktionsmittel sind (wie etwa der selbstständige Handwerker oder Kleinbauer). Je mehr der einzelne auf den Verkauf der Waren angewiesen ist, umso mehr orientiert er sich in seinem Denken und Handeln an dem „Tauschwert“ der Waren, den er beim Verkauf erzielen kann, während er sich bezüglich des „Gebrauchswerts“ der Waren dem Geschmack der Käufer unterordnen muß. Aber diese Art von Entfremdung besitzt noch einen geringeren Grad, ist noch weit weniger umfassend als die Entfremdung des Arbeiters im kapitalistischen Produktionsprozeß. Der Handwerker konnte - vor dem Aufkommen der kapitalistischen Konkurrenz, die schließlich auch ihn unter Druck setzte - mindestens noch seinen Arbeitsprozeß selbst organisieren, konnte entscheiden, was und mit welchen Methoden er produzierte, und er hatte auch noch den Überblick über den gesamten Produktionsprozeß. Für ihn gab es noch eine Einheit zwischen planender und aufführender Tätigkeit, eine Einheit von „Kopf- und Handarbeit“, und er konnte sich insofern noch identifizieren mit dem Produkt seiner eigenen Arbeit. Und auch wenn er dieses Produkt schließlich als Ware verkauft hat, gehörte der Verkaufserlös ihm und nicht einem anderen. Wenn sich in dieser noch nicht kapitalistischen, sog. „einfachen Warenproduktion“ auch schon Ansätze von Entfremdung herausgebildet hatten, so unterscheiden sie sich doch gewaltig von den entfremdeten Bedingungen innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses...“(5)

Auf die Struktur der kapitalistischen Produktionsweise und die sich daraus ergebenden ökonomischen Bewegungsgesetze, wie sie von Marx in seiner Mehrwerttheorie aufgedeckt worden sind, wollen wir im folgenden etwas näher eingehen. Selbstverständlich kann es sich dabei nur um eine ganz grobe Zusammenfassung einiger Ergebnisse handeln, die Marx in den drei Bänden seines »Kapitals« ausführlich abgeleitet hat....

Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (224k) zu finden:

  • Tauschwert und Gebrauchswert - Der Doppelcharakter der Ware

  • Lohnarbeit als Quelle von Mehrwert

  • Kapitalistische Konkurrenz und Zwang Zur Akkumulation

  • Kapitalverwertung und Durchsetzung der Arbeitsteilung

  • Herrschaft der erstarrten über die lebendige Arbeit

  • Dialektischer Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital

  • Sexualökonomie: Dialektischer Widerspruch zwischen lebendiger und erstarrter Triebenergie

  • Strukturelle und funktionelle Identität zwischen Individuum und Gesellschaft

 

 

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Version: 24.06.08 20:25:16