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Forschungen Wilhelm Reichs (II) |
W.
Reich - Entdecker der Akupunkturenergie | Politische Ökonomie und Sexualökonomie |
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Bernd Senf in |
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Im folgenden wird der Weg beschrieben, auf dem Wilhelm Reich über eine zunehmend naturwissenschaftliche Erforschung menschlicher Emotionen zur Entdeckung der ihnen zugrundeliegenden Lebensenergie Orgon kam. Der Weg führte ihn über die Untersuchung von Pulsationsvorgängen und Plasmabewegungen in lebenden Organismen zur entsprechenden Beobachtung von Einzellern und zur Frage nach der Entstehung von Leben (Biogenese), die er mit seinen Bionexperimenten entschlüsselte. Die dabei auftretenden lebensenergetischen Strahlungsphänomene brachten ihn zur Entwicklung des Orgonakkumulators, mit dem die Lebensenergie verdichtet und für vielfältige Anwendungen unter anderem therapeutisch nutzbar gemacht werden konnte. Es wird dargestellt, wie Reich auf dieser Grundlage ein bioenergetisches Verständnis von Krebs und entsprechende orgonenergetische Behandlungsmethoden entwickelte. Emotion
und plasmatische Pulsation der Zellen Die
Entdeckung der funktionellen Identität bei gleichzeitiger Gegensätzlichkeit von Lust und Angst führte Reich zu der Frage, ob es sich
hierbei um ein allgemeines biologisches Prinzip handele, das nicht
gebunden sei an die menschliche
Wahrnehmungsfähigkeit. Es fiel auf, daß ja auch Tiere einem
solchen biologischen Grundmuster zu unterliegen scheinen, das sie
in bestimmten Situationen entspannt, ausgestreckt, »hin zur Welt« geöffnet
sein läßt, während sie sich in anderen, gefahrvollen Situationen zusammenziehen,
»in sich verkriechen«, abpanzern und starr werden. Überall
ließen sich diese Reaktionen beobachten, sei es bei Katzen, bei Schnecken
(die sich bei Gefahr in ihr Schneckenhaus verkriechen) oder bei
Igeln (die sich einigeln). Wenn es sich um eine allgemeine biologische Reaktion
handelte, dann müßte sie sich auch an den primitivsten Lebewesen,
den Einzellern (Protozoen), beobachten lassen. Unter diesem Gesichtspunkt
ging Reich 1935 an die systematische Untersuchung von Einzellern,
um deren Bewegungsabläufe
genauer
zu studieren. Im Zusammenhang
mit diesen Forschungen stieß er auf Erkenntnisse, die von fundamentaler
Bedeutung werden sollten für die Entdeckung einer alle Lebensprozesse
antreibenden biologischen
Energie und
schließlich für das grundlegende
Verständnis des Funktionsmechanismus der Krebserkrankung. Für
seine Forschungszwecke hatte sich Reich die Präparate mit den Einzellern
zunächst von einem botanischen Institut liefern lassen, war dann aber
darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich Einzeller auf sehr einfache
- und unter Biologen allgemein
bekannte - Art gewinnen lassen: dadurch nämlich, daß man getrocknetes Gras in Wasser legt und beides
zusammen einige Tage lang stehenläßt. Auf diese Weise würden sich
in dem Heuaufguß von selbst Einzeller bilden. Die übliche »Erklärung«
für diesen Vorgang war die, daß sich in der Luft befindliche Keime
in diesem Heuaufguß niederlassen und danach von selbst vermehren. Für Reich allerdings war diese Erklärung unbefriedigend, und
er nahm sich vor, den Prozeß der
Entstehung dieser Einzeller genauer zu untersuchen. Unter dem
Lichtmikroskop hatte er nämlich beobachtet, daß
sich am Zellgewebe des
Grases selbst bestimmte Auflösungsprozesse
vollziehen, bei denen sich kleine Bläschen bilden. Nach längerer Zeit schienen sich diese Bläschen vom Gewebe abzulösen und zu neuen Formationen
zu organisieren. War das Auftreten von Einzellern vielleicht gar
nicht auf Luftkeime von außen zurückzuführen, sondern auf einen inneren
Prozeß des Gewebezerfalls und der daraus entstehenden Neubildung von
Zellen? Um
diesen Prozeß genauer zu untersuchen, mußten die Untersuchungsmethoden
verbessert werden: Die übliche maximale Vergrößerung von Lichtmikroskopen
(cirka 1500x) reichte nicht aus, um die Bewegungen der Bläschen zu
studieren. Reich arbeitete deshalb mit einer Spezialanfertigung, die
eine Vergrößerung bis zu 5000x und das Aufnehmen der Bewegungen
mit Hilfe einer Zeitrafferkamera ermöglichte. Bei einer 3000fachen
Vergrößerung und mehr zeigte sich im Zeitrafferfilm, daß die Bläschen
im Laufe
mehrerer Tage miteinander zu größeren Einheiten verschmolzen,
die ihrerseits schwache Bewegungen von Expansion und Kontraktion
hervorbrachten. Da es sich bei den Bläschen offenbar um Vorformen
des Lebendigen handelte, nannte sie Reich »Bione«. Die
Entstehung von Leben aus nicht-lebender Substanz Um
zu überprüfen, ob die pulsierenden Einheiten möglicherweise nur das Ergebnis
von lebenden Keimen waren, arbeitete Reich unter sterilen Bedingungen,
das heißt, er erhitzte die Substanzen auf eine Temperatur, bei der
lebende Keime nicht mehr existieren können. Die Bildung der Bione, aus
denen sich die pulsierenden Einheiten entwickelten, wurden aber dadurch
nicht unterbunden, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Bione bildeten
sich im übrigen nicht nur durch die Erhitzung und Quellung von
Heu, sondern auch bei Verwendung anderer organischer und anorganischer
Substanzen (Muskelgewebe, Erde, Meeressand, Kohlestaub, Eisenstaub
und anderem). Besonders stark war die Bion-Bildung beim Glühen
und Quellen von Meeressand. Die dabei entstehenden sogenannten SAPA-Bione
(»SAnd-PAket«)
brachten eine starke Strahlung hervor, was
sich unter anderem daran zeigte, daß sich die Augen der Beobachter regelmäßig
stark entzündeten. (Wie sich erst später herausstellte, handelte
es sich hierbei um eine bis dahin in der Physik unbekannte und von Reich
entdeckte biologische Energie, die er später »Orgon«
nannte.)
Die
SAPA-Bione zeigten unter dem Mikroskop im übrigen ein starkes bläuliches
Leuchten in
ihrem Inneren, einen bläulichen Rand und ein über
die stofflichen Grenzen hinausgehendes bläulich
leuchtendes Feld - Eigenschaften,
wie sie sich auch bei allen lebenden
Zellen beobachten
ließen.
Diese leuchtenden Eigenschaften waren allerdings nie bei totem Gewebe
zu beobachten, das sich ansonsten in der stofflichen Struktur vom lebendigen
Gewebe nicht zu unterscheiden brauchte. Das unter starker Vergrößerung
zu beobachtende bläuliche Leuchten von Zellen oder Bionen
und die damit einhergehende Strahlung schienen ein besonderes Kennzeichen
des Lebendigen zu sein. Die pulsierenden und strahlenden Einheiten,
von denen vorhin die Rede war, ergaben sich dabei als fließende
Übergänge aus der Auflösung toter (organischer und anorganischer)
Substanz, deren Zerfall in Bione und der Verschmelzung der Bione zu
größeren Einheiten. Eine
scharfe Trennung zwischen lebender und nicht-lebender Substanz (wie
es die Biologie bis dahin angenommen hatte) schien es demnach gar nicht zu
geben. Vielmehr deutete einiges darauf hin, daß sich das Lebendige
jederzeit und mit fließenden Übergängen aus nicht-lebender Substanz
spontan herausbildet. Vielleicht stellten die Bione Übergangsformen zwischen
toter und lebender Substanz auf
dem Weg der spontanen Herausbildung von Einzellern dar - und
die in ihnen gebundene Energie die treibende Kraft der Entstehung
von Leben. Ausgehend von dieser Hypothese
brachte Reich strahlende SAPA-Bione in eine Lösung, die alle stofflichen
Voraussetzungen für den Aufbau von Zellen enthielt (das heißt alle chemisch
notwendigen Stoffe). Tatsächlich ließ sich experimentell anhand
der Zeitrafferfilme nachweisen, daß sich die dabei entstehenden Bione
im Laufe mehrerer Wochen
unter Aufnahme der entsprechenden chemischen
Substanzen zu
lebendigen
Einzellern organisierten. Damit
war der
experimentelle Nachweis für die Entstehung
des Lebens aus nichtlebender
Substanz gelungen
(»experimentelle Biogenese«).
Neben
allen stofflichen
Voraussetzungen
bedarf es offenbar noch einer spezifischen, in den
Bionen gebundenen und den Lebensprozess
organisierenden Energie. Was
war das für eine Energie, auf die Reich hier gestoßen war? Konnte sie
mit den Begriffen der traditionellen Physik umschrieben werden, oder war
zu ihrem Verständnis eine Erweiterung des traditionellen physikalischen,
Weltbildes erforderlich? Bevor auf diese Frage und die damit zusammenhängenden
Forschungen von Reich eingegangen wird, sollen noch einige
experimentelle Ergebnisse der Bion-Forschung und ihre Bedeutung
für ein biophysikalisches
Verständnis des Lebendigen und der Emotionen skizziert werden. Leben
als Einheit von stofflicher Substanz und Lebensenergie Die
Untersuchungen hatten ergeben, daß der Unterschied
zwischen Leben und
Nicht-Leben nicht
in irgendwelchen stofflichen Unterschieden zu suchen
ist, sondern in der Anwesenheit oder Abwesenheit einer biologischen
Energie, die sich mikroskopisch in einem bläulichen Leuchten der Bione
beziehungsweise Zellen zeigte. Ein weiteres Merkmal des Lebendigen
besteht in der ständigen Pulsation
des Zellplasmas, in
dem Wechsel zwischen Expansion und Kontraktion. Diese Pulsation hängt
nach Reich
zusammen mit der in der Zelle gebundenen Lebensenergie:
Sie
existiert
nur in Zusammenhang mit dem bläulichen Leuchten der Zellen, was
bei allen toten und nicht mehr pulsierenden Zellen fehlt. Eine
lebende Zelle
ist demnach immer eine Einheit von stofflicher Substanz und Lebensenergie,
wobei
die Energie den Prozeß der plasmatischen Pulsation antreibt.
Mangel an biologischer Energie in den Zellen bedeutet deshalb Beeinträchtigung
der plasmatischen Pulsation und entsprechend Beeinträchtigung der
Lebensfunktion der Zellen. Untersuchungsmethoden,
die sich nur auf die stoffliche Struktur der Zellen konzentrieren
- und sei es auch mit den feinsten Auflösungsmethoden wie denen
der heutigen Elektronenmikroskopie -, bleiben damit notwendigerweise blind gegenüber einem wesentlichen Bestimmungsmoment
des Lebendigen: dem bioenergetischen Anteil. Vom methodischen
Ansatz her bleibt ihnen der Zugang zum Verständnis des Lebendigen und damit auch zum grundlegenden Verständnis seiner Störungen in
Form von Krankheiten konsequenterweise verschlossen. Für Reich hingegen
hat die Entdeckung dieses »Doppelcharakters
des Lebendigen« (Einheit
von stofflicher Substanz und biologischer Energie zu sein) den Weg
geöffnet für das Verständnis der Wurzel bioenergetischer Erkrankungen,
bis hin zum Krebs. Orgonotische Erstrahlung und sexuelle Erregung Die
Beobachtung der Bione brachte noch weitere -
für das biophysikalische
Verständnis der Emotionen
grundlegende
- Ergebnisse
hervor: Bione haben die
Tendenz, sich gegenseitig anzunähern (Attraktion), wobei
ab einer gewissen Entfernung eine »Strahlungsbrücke« entsteht, das heißt
ein wechselseitiges Überspringen von Energie. Dieser Vorgang geht einher
mit einer intensiveren »orgonotischen«
Erstrahlung und einer stärkeren
Anziehung der Bione, deren stoffliche Grenzen sich schließlich auflösen
und die sowohl stofflich als auch energetisch miteinander verschmelzen.
Die stärkere orgonotische Erstrahlung der Bione bei wechselseitigem
Durchdringen ihrer Energiefelder sieht Reich als funktionell identisch
mit der sexuellen
Erregung: Auch
bei sexueller Erregung überlagern
sich - schon vor dem körperlichen
Kontakt zweier Menschen - deren bioenergetische (»orgonotische«)
Felder, und die entstehende Erregung
erzeugt eine spontane Anziehung. Im voll befriedigenden Orgasmus
lösen sich (im Unterschied zu den Bionen) zwar nicht die Körpergrenzen
auf, wohl aber verschmelzen die Emotionen zu einem Ganzen
(und erzeugen dadurch subjektiv das Gefühl der Auflösung der eigenen
Körpergrenzen). »Beim Einzeller
folgt der Verschmelzung in der Kopulation eine gegenseitige
Durchdringung von Körpersubstanz. Verschmelzung und Durchdringung
sind sowohl stoffliche wie energetische Vorgänge. Diese Vorgänge
sind aber beim Vielzeller energetisch weit vollständiger als stofflich
[...]. Während
bei den mehrzelligen Tieren die Verschmelzung auf die genitalen
Organe und die generativen Zellen beschränkt bleibt, funktioniert
sie orgonotisch total, das heißt zwei kopulierende Lebewesen
(beim Menschen orgastische Potenz vorausgesetzt) verschmelzen vorübergehend
zu einem orgonotischen Energiesystem.« (Reich 1976a: 64f)
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Der
folgende Artikel knüpft an
eine Fragestellung an, die Wilhelm Reich in seinem 1929 erschienenen
Aufsatz "Dialektischer
Materialismus und Psychoanalyse" erstmals
aufgeworfen
hat: die Frage
nach einer möglichen Synthese zwischen Psychoanalyse und
Marxismus. Um
den
Stellenwert dieses Aufsatzes einschätzen zu
können, soll zuvor
kurz auf die vorangegangene Entwicklung eingegangen werden. I. Reichs Versuch einer Synthese
zwischen Psychoanalyse und Marxismus In
seiner Tätigkeit als Psychoanalytiker war Reich schon in den 20er Jahren konfrontiert
worden mit einem massenhaften psychischen Elend. Es erschien ihm
immer dringlicher, die Arbeit nicht auf die Therapie am einzelnen Menschen
zu beschränken, sondern gleichzeitig den gesellschaftlichen Bedingungen
entgegenzuwirken, die dieses Elend immer wieder hervorbringen. Je mehr er
erkannte, daß die Neurosen kein unabwendbares Schicksal, sondern vor allem
Ergebnis der sexuellen Unterdrückung sind, umso notwendiger erschien es
ihm, den sexualfeindlichen Ideologien und gesellschaftlichen Institutionen
den
Kampf anzusagen und für die Befreiung der Sexualität aus ihren gesellschaftlichen
und moralischen Zwängen einzutreten. Bei
seinem Versuch, seine psychoanalytischen Kollegen einschließlich Freud für ein derartiges Engagement zu gewinnen, stieß er immer mehr auf Ablehnung.
Dies mag damit zusammenhängen, daß sich die Psychoanalyse - nach
Jahren der Ignorierung,
Verspottung und Verhöhnung - allmählich
zunehmender gesellschaftlicher Anerkennung erfreute und die
Psychoanalytiker inzwischen eine einträgliche therapeutische Praxis aufgebaut hatten. Es mag
auch damit zusammenhängen, daß
sich die meisten von ihnen durch ein zusätzliches
politisches und gesellschaftliches Engagement überfordert fühlten.
Jedenfalls wurde Reich mit seinen gesellschaftskritischen Thesen in den
Reihen der psychoanalytischen Bewegung immer mehr als unbequemer Störenfried
empfunden, der die Anpassung der Psychoanalytiker an die gegebenen Verhältnisse
immer wieder gefährdete. Aus
der Erkenntnis heraus, in der psychoanalytischen Bewegung keine Unterstützung
für sein gesellschaftskritisches Engagement zu finden, wandte sich Reich
an die organisierte linke Bewegung und wurde Mitglied der KP Österreichs
und später der KPD. Diese
Entwicklung bildet den Hintergrund für seinen erstmals 1929 erschienenen
Aufsatz "Dialektischer
Materialismus und Psychoanalyse", mit
dem er versuchte,
die nach seiner Einschätzung revolutionären Erkenntnisse der Freudschen
Psychoanalyse in die damalige marxistische Diskussion hineinzutragen.
Inhaltlich ging es ihm darum aufzuzeigen, daß sich marxistische Gesellschaftstheorie
und Psychoanalyse nicht widersprechen, sondern sich im Gegenteil
wechselseitig ergänzen können, und daß sie beide von den gleichen erkenntnistheoretischen
Voraussetzungen ausgehen, nämlich einer Anwendung
der Methode des dialektischen Materialismus. Der Marxismus wende diese
Methode für die Analyse der ökonomischen Bewegungsgesetze der Gesellschaft
an, die Psychoanalyse bediene sich ihrer (ohne es zu wissen) für die Analyse
innerpsychischer Bewegungsgesetze. Der
Aufsatz löste seinerzeit sowohl unter Psychoanalytikern als auch unter Marxisten
eine heftige und teilweise sehr polemische Diskussion aus (1). In
der Neuauflage des Aufsatzes,
die 1934 vom Sexpol-Verlag herausgegeben wurde, schreibt Reich dazu
im Vorwort: „Ich
kann korrekterweise nicht länger verhehlen, daß alle Beteiligten sich
von
den hier
dargelegten
Zusammenhängen distanzierten. Freud lehnte die Beziehung von Marxismus
und Psychoanalyse grundsätzlich ab und bezeichnete die beiden Disziplinen
als einander konträr. Den gleichen Standpunkt beziehen die offiziellen
Vertreter der Kommintern.
In beiden Lagern wurde ich vor die Alternative gestellt, zwischen der
Psychoanalyse
und dem revolutionären
Marxismus
zu wählen. Ich überlasse es der Öffentlichkeit,
zu beurteilen und in der Zukunft zu entscheiden, wer recht hat." (2) Der
folgende Artikel will die von Reich aufgeworfene Fragestellung wieder aufgreifen
und vertiefen. Während Reich in seinem Aufsatz noch weitgehend aus
der Sichtweise und dem Begriffssystem der Psychoanalyse argumentiert hat,
sollen im folgenden die Erkenntnisse der Reichschen Sexualökonomie zugrunde
gelegt werden, die sich erst später als eine eigenständige Wissenschaft entwickelte
und bestimmte problematische bzw. unscharfe Begriffe der Psychoanalyse
(z.B. Todestrieb, Sublimierung)
überwunden hat. Im übrigen soll auch
der Schwerpunkt des folgenden Artikels ein anderer sein als in "Dialektischer
Materialismus und Psychoanalyse". Reich
ging es damals darum,
die Marxisten
mit den Grundlagen der Psychoanalyse vertraut zu machen. Im Rahmen
dieser Zeitschrift geht es umgekehrt darum, den Lesern einige Grundzüge
der marxistischen politischen Ökonomie nahezubringen und deren Verhältnis
zur Sexualökonomie zu diskutieren. II. Grundzüge der marxistischen
politischen Ökonomie (3) 1.
Menschliche Entfremdung und ökonomische Struktur Wenn
wir uns im folgenden mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus auf
der Grundlage der Marxschen Mehrwerttheorie vertraut machen, sollten wir
von vornherein bedenken, daß sich der Marxsche Ansatz vom Anspruch her
nicht auf die Erklärung „rein ökonomischer“ Phänomene beschränkt, sondern
daß er sich versteht als Grundlage für eine umfassende Gesellschaftstheorie.
Wenn sich der späte Marx in seinem Hauptwerk »Das Kapital« vor allem
auf die Untersuchung der ökonomischen Bewegungsgesetze der kapitalistischen
Produktionsweise konzentriert hat, so deswegen, weil er zu der Erkenntnis
gekommen war, daß von der ökonomischen Struktur einer Gesellschaft
auch die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen, sowie ihr Denken
und Handeln ganz wesentlich geprägt werden. Bereits der frühe Marx war auf den entfremdeten Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen gestoßen und auf das entfremdete Verhältnis, das die Menschen zu ihrer Arbeit und zu sich selbst hatten. Er hatte die „Entfremdung“ als eine die ganze kapitalistische Gesellschaft durchdringende Erscheinung erkannt, und sie war für ihn Ausdruck dafür, daß sich die Menschen in der damaligen Gesellschaft weder individuell noch im Zusammenleben miteinander verwirklichen konnten. Marx versuchte insbesondere in seinen Frühschriften, die Entfremdung in den unterschiedlichsten Bereichen nicht nur zu beschreiben, sondern sie in einen inneren Zusammenhang zueinander zu stellen. Dabei unterschied er im wesentlichen vier Ebenen, auf denen sich die Entfremdung in unterschiedlicher Weise ausdrückte:
Wir
wollen im folgenden versuchen, den Marxschen Entfremdungsbegriff näher
kennenzulernen und nachzuvollziehen, daß die Entfremdungsproblematik für
Marx konsequent hinführte zum eingehenden Studium der ökonomischen Bewegungsgesetze
des kapitalistischen Systems, zur Untersuchung der Bedingungen der
materiellen Produktion, aus denen heraus sich für Marx das Phänomen der
Entfremdung überhaupt erst hinreichend erklären ließ. Der
Kern der Entfremdung auf allen Ebenen kommt für Marx in folgender These
zum Ausdruck: „Der
Gegenstand, den Arbeit produziert, ihr
Produkt, tritt ihr als ein fremdes
Wesen, als
eine vom Produzenten unabhängige
Macht gegenüber.“(4) Wieso
entfremdet sich „der Produzent“, d.h. der Arbeiter, vom Produkt seiner
Arbeit? Besteht die Entfremdung darin, daß der einzelne Arbeiter in einer
Fabrik
überhaupt nicht mehr den Produktionsprozeß überblickt, weil er nur eine
ganz spezielle Teilverrichtung auszuführen hat und gar nicht mehr ein ganzes
Produkt von Anfang bis Ende herstellen kann -
wie früher der Handwerker? Oft weiß
der Arbeiter nicht einmal mehr, wozu, seine Arbeit im Rahmen
des ganzen Produktionsprozesses überhaupt gut ist, was aus den Teilen,
die er bearbeitet, im weiteren Verlauf des Produktionsprozesses überhaupt
wird. Wenn der Beitrag, den
seine Arbeit zur Entstehung eines Produkts leistet, vollkommen untergeht
und für ihn nicht mehr erkennbar ist, wie soll er sich
dann mit dem Produkt seiner Arbeit identifizieren? Wie soll er sich
schließlich
in dem fertigen Produkt irgendwo wiederfinden? Sein Beitrag zum gesamten
Produkt geht unter wie ein Wassertropfen im Meer. Vielleicht ist es dies,
was das Produkt für ihn so fremd macht, für ihn als ein „fremdes Wesen“
erscheinen läßt. Ist es also die innerbetriebliche
Arbeitsteilung, die
Zerlegung
des gesamten Produktionsprozesses in einzelne spezielle Teilverrichtungen,
die mit Notwendigkeit eine Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner
Arbeit hervorbringt? Oder
ist es die Tatsache, daß der Arbeiter gar nicht darüber bestimmen kann, was produziert wird und mit welchen Methoden, daß er einfach nur die Anordnungen
des Meisters entgegennehmen und ausführen muß, ohne daß er selbst
während seiner Arbeit etwas zu sagen hat? Ist es also die hierarchische Struktur
des Arbeitsprozesses, die für den Arbeiter eine Identifizierung mit dem
Produkt unmöglich macht? Denn daß er gerade dieses Produkt herstellt bzw.
gerade diese Teilverrichtung ausführt, ist nicht das Ergebnis seiner eigenen
Planung und Entscheidung, sondern Ausdruck eines fremden Willens. Liegt
also in der innerbetrieblichen
Hierarchie die
Ursache dieser Art von Entfremdung? Oder
hängt die Entfremdung vom Produkt der eigenen Arbeit nicht vielmehr damit
zusammen, daß der Arbeiter über dieses Produkt gar nicht selbst verfügen
kann, sondern daß es Eigentum eines anderen wird, nämlich des Unternehmers,
des Kapitalisten? Liegt also die Ursache der Entfremdung in den
Eigentumsverhältnissen begründet, im Privateigentum
an Produktionsmitteln und
in der Tatsache, daß die von den Arbeitern produzierten Produkte letztlich
dem Unternehmer den Profit ermöglichen? Oder
liegt Entfremdung auch schon dann vor, wenn ein Produzent z.B. als Handwerker
zwar selbst über seine Produktionsmittel verfügt und sich auch den
Verkaufserlös selbst aneignet, aber die Produkte eben doch für den Verkauf,
d.h. für andere hergestellt werden und nicht für sich selbst; und unter Umständen
für andere, die der Produzent gar nicht kennt, also für einen anonymen
Markt. Ist es also die Produktion für den Austausch, die sogenannte Warenproduktion,
die
die Entfremdung mit sich bringt? Belassen wir es zunächst bei diesen Fragen und versuchen wir, in diese hier angedeuteten Möglichkeiten ein wenig Ordnung zu bringen. Die angesprochenen Punkte, die als mögliche Ursachen für die Entfremdung des Arbeiters vom. Produkt seiner Arbeit genannt wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Wir
könnten jetzt darüber streiten, welches der wichtigste und ausschlaggebende
Punkt für die Entstehung von Entfremdung ist. Fest steht für Marx, daß
für die Arbeiter in einer kapitalistischen Unternehmung alle Punkte zusammenkommen.
Und dies nicht von ungefähr. Die Eigentumsverhältnisse etwa,
d.h. das Privateigentum an Produktionsmitteln in der Hand weniger auf der
einen Seite und die Lohnabhängigkeit für die Masse der Arbeiter auf der anderen
Seite, bringen ja nicht nur die Aneignung der produzierten Produkte durch
den Kapitalisten mit sich. Sie bedeuten ja auch Verfügungsgewalt über den
Produktionsprozeß selbst. Was produziert wird, mit welchen Produktionsmethoden,
und wie
die
Arbeiter im einzelnen eingesetzt werden, bestimmt
nicht der Arbeiter, sondern letztlich der Kapitalist (der allerdings für die
Ausübung dieser Funktion wieder Lohnabhängige einstellen kann). Die Fremdbestimmung
in der Arbeit ist damit ebenfalls notwendige Begleiterscheinung
kapitalistischer Produktions- und Eigentumsverhältnisse. Was
fängt nun der Kapitalist mit dem von ihm angeeigneten Profit an? Er kann
ihn unter dem Druck der Konkurrenz nicht einfach verjubeln, sondern muß
ihn wieder - mindestens
zum großen Teil -
dem Produktionsprozeß zuführen,
muß im Vergleich zur Konkurrenz die Kosten möglichst niedrig halten und
eine entsprechende Organisation des Produktions- und Arbeitsprozesses in
seinen Betrieben durchsetzen. Die Herausbildung der innerbetrieblichen Arbeitsteilung
und der Aufbau hierarchischer Strukturen sind also nichts anderes
als ein Ergebnis dieses ständigen Drucks auf die Kosten, sind also auch
zurückzuführen auf die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und auf
die aus
dem Privateigentum hervorgegangene Konkurrenz. Es ist demnach die kapitalistische
Produktionsweise insgesamt, die die vielfältigen Bedingungen der Entfremdung
hervorgebracht hat und in sich vereinigt. Das
bedeutet natürlich nicht, daß nicht auch schon in vorkapitalistischen
Produktionsweisen
Ansätze zur Entfremdung existieren. Bereits die Herausbildung
der Warenproduktion, einer Produktion für den Austausch (und nicht für
die Selbstversorgung) bringt Elemente von Entfremdung mit sich, auch wenn
die Produzenten noch Eigentümer der Produktionsmittel sind (wie etwa der
selbstständige Handwerker oder Kleinbauer). Je mehr der einzelne auf den Verkauf
der Waren angewiesen ist, umso mehr orientiert er sich in seinem Denken
und Handeln an dem „Tauschwert“ der Waren, den er beim Verkauf erzielen
kann, während er sich bezüglich des „Gebrauchswerts“ der Waren dem
Geschmack der Käufer unterordnen muß. Aber diese Art von Entfremdung
besitzt noch einen geringeren Grad, ist noch weit weniger umfassend als die
Entfremdung des Arbeiters im kapitalistischen Produktionsprozeß. Der
Handwerker konnte - vor dem Aufkommen der kapitalistischen Konkurrenz, die schließlich
auch ihn unter Druck setzte - mindestens
noch seinen Arbeitsprozeß
selbst organisieren, konnte entscheiden, was und mit welchen Methoden
er produzierte, und er hatte auch noch den Überblick über den gesamten
Produktionsprozeß. Für ihn gab es noch eine Einheit zwischen planender
und aufführender Tätigkeit, eine Einheit von „Kopf- und Handarbeit“,
und er konnte sich insofern noch
identifizieren mit dem Produkt seiner eigenen
Arbeit. Und auch wenn er dieses Produkt schließlich als Ware verkauft hat,
gehörte der Verkaufserlös ihm und nicht einem anderen. Wenn sich in
dieser noch nicht kapitalistischen, sog. „einfachen Warenproduktion“
auch schon Ansätze von
Entfremdung herausgebildet hatten, so unterscheiden sie sich doch gewaltig
von den entfremdeten Bedingungen innerhalb des kapitalistischen
Produktionsprozesses...“(5) Auf die Struktur der kapitalistischen Produktionsweise und die sich daraus ergebenden ökonomischen Bewegungsgesetze, wie sie von Marx in seiner Mehrwerttheorie aufgedeckt worden sind, wollen wir im folgenden etwas näher eingehen. Selbstverständlich kann es sich dabei nur um eine ganz grobe Zusammenfassung einiger Ergebnisse handeln, die Marx in den drei Bänden seines »Kapitals« ausführlich abgeleitet hat.... Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (224k) zu finden:
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Version: 24.06.08 20:25:16