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Bernd Senf in |
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Die
folgende Veranschaulichung dient also mehr einer Strukturierung der zu diskutierenden
Probleme und einer Motivierung, sich mit den aufgeworfenen Fragen tiefer auseinanderzusetzen, als daß sie fertige Antworten
liefern will. Die darin enthaltenen Aussagen sind zunächst als Thesen zu
verstehen, die es in der weiteren
Diskussion anhand der Reichschen Forschungen zu untermauern gilt und die
sich einer Konfrontation mit anderen Erklärungsansätzen stellen wollen. Erst in einer solchen Konfrontation mit anderen
Ansätzen wird sich erweisen können,
ob und inwieweit der Reichsche Ansatz in
der theoretischen Erklärung bestimmter Phänomene und in der Entwicklung
einer emanzipatorischen Praxis diesen überlegen ist. Triebenergie
und natürliche Triebentfaltung Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (154k) zu finden:
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Von
der Psychoanalyse über die Charakteranalyse zur
Sexualökonomie
Solche
und ähnliche Assoziationen und Reaktionen sind auch heute noch mehr
die Regel als die Ausnahme bei denjenigen, die den Namen Reich überhaupt
schon mal gehört haben. Viele können mit seinem Namen überhaupt nichts anfangen. Das Zirkulieren solcher Vorurteile
und solch bruchstückhaften
Wissens über Reich und der Aufbau entsprechender Abwehrhaltungen
ist symptomatisch für die
absolut lückenhafte
Rezeption und für die Entstellung,
die das für die
Emanzipationsbewegung bedeutende
Werk von Wilhelm Reich bis heute - über
zwanzig Jahre nach seinem Tod - erfahren
hat. Und die westdeutsche und Westberliner Linke macht - abgesehen
von einer kurzen Phase während der Studentenbewegung Ende der sechziger
Jahre - bei dieser Ignoranz und
Arroganz gegenüber dem Werk
von Reich durchaus keine Ausnahme. In anderen Ländern ist die
Offenheit gegenüber Reich wesentlich größer, und entsprechend findet teilweise eine intensive Auseinandersetzung mit seinem Werk
statt. In Frankreich und Italien zum Beispiel wird von verschiedenen
Gruppen der Versuch gemacht, das Reichsche Werk nicht nur in seiner
Gesamtheit zu diskutieren, sondern die Erkenntnisse von Reich über den
Zusammenhang von Triebunterdrückung und Massenerkrankung auch in die politische Praxis umzusetzen. Im deutschen Sprachraum bedurfte
es wohl erst eines Rudolf Bahro, um auf die fundamentale Bedeutung
von Reich für die Theorie und Praxis der psychosozialen Emanzipation
aufmerksam zu machen und die Linke zu einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung
mit Reich beziehungsweise zu einem Kampf gegen die diesbezüglichen
Vorurteile zu ermuntern. Angesichts
des weitverbreiteten Defizits in der Rezeption des Reichschen Werks
und angesichts der Tatsache, daß - wenn überhaupt eine Auseinandersetzung
stattfindet - immer wieder
einzelne Teile aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissen und dadurch in
ihrer Bedeutung entstellt werden,
soll im folgenden vor allem der innere
Zusammenhang des Reichschen
Gesamtwerks herausgearbeitet
werden. Zu diesem Zweck wird versucht,
unter Verzicht auf Details grob die einzelnen Entwicklungsschritte in
den Forschungen und Aktivitäten von Reich nachzuzeichnen. Einige
Grundlagen der Freudschen Psychoanalyse Anfang
der zwanziger Jahre kam der Mediziner Reich in Wien in Berührung
mit der von Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse.
Freud
war
darauf gestoßen, daß die Wurzel vieler psychischer Erkrankungen die »Verdrängung«
psychischer
Konflikte aus der Kindheit war. Die ursprünglich
spontanen Triebbedürfnisse waren
bei den Patienten in Konflikt mit einer
triebversagenden Umwelt geraten und durch einen innerpsychischen
Mechanismus ins Unbewußte abgeschoben worden. Im Unbewußten
wühlten diese verdrängten Bedürfnisse und die sie
antreibenden psychischen Energien
jedoch weiter und suchten sich - unter
Umgehung der bewußten
Kontrolle des Individuums - andere
Ventile der Entladung, zum
Beispiel in Form von neurotischen Zwangssymptomen oder in
Form psychosomatischer Erkrankungen,
aber auch in Träumen und
sogenannten Fehlleistungen
(Versprechern, Vergessen, Verlegen). Die krankhaften Symptome
standen in jedem Fall in Zusammenhang mit dem
verdrängten Konflikt, aber der Zusammenhang war den Patienten nicht
weiter bewußt. Dennoch entdeckte Freud in den Trauminhalten
wie in den Assoziationen (was den Leuten an Gedanken, Gefühlen und Bildern
durch den Kopf schwirrte) verschlüsselte Informationen über den
zugrundeliegenden und verdrängten psychischen Konflikt. In den zunächst
völlig unverständlichen Informationen entdeckte er eine innere Logik
(»Psycho-Logik«), deren Anwendung in der psychoanalytischen Therapie
es ermöglichte, den Patienten die verdrängten Konflikte bewußt zu
machen. Das Bewußtwerden des Konflikts war jedesmal verbunden mit
starker emotioneller Betroffenheit, in denen die frühere Konfliktsituation
noch einmal durchlebt wurde. Bei gelungener Therapie bestand die
Folge dieses Bewußtwerdungsprozesses in einer Auflösung der Verdrängung
und damit auch des krankhaften Symptoms. Wesentlicher Gegenstand
der Entschlüsselung, der sogenannten psychoanalytischen
»Deutung«, war das vom Patienten hervorgebrachte psychische
»Material«, das heißt die vom Bewußtsein nicht kontrollierten und zensierten
Trauminhalte beziehungsweise der Inhalt der durch den Kopf schwirrenden
Assoziationen. Die Patienten wurden angehalten, bei der Erzählung ihrer
Trauminhalte und Assoziationen die verstandesmäßige Kontrolle
möglichst vollständig auszuschalten, das heißt alles zu erzählen, selbst
wenn es ihnen vom Verstand her noch so unsinnig und unzusammenhängend
erschien oder von der Moral her noch so schlimm und verboten.
Freud nannte diese Methode der psychoanalytischen Therapie »freie
Assoziation«. Mit
dieser Methode gelang es, die bis dahin verdrängten psychischen Konflikte
und die darin enthaltene Konfrontation zwischen Triebbedürfnissen
und äußeren Triebversagungen an die Oberfläche des Bewußtseins sprudeln
zu lassen. Das auf diese Weise hochsprudelnde Material ließ demnach
Rückschlüsse darüber zu, was an tieferliegenden Triebbedürfnissen
schon im Kind angelegt war und welche konkreten Mechanismen im einzelnen
wirksam geworden waren, um das Ausleben der spontanen Triebbedürfnisse
zu verhindern. So unterschiedlich die psychischen Erkrankungen
der einzelnen Patienten und so unterschiedlich ihre individuelle
Entwicklung waren, es stellte sich für Freud immer wieder heraus,
daß bereits in der Kindheit
spontane sexuelle Bedürfnisse vorhanden waren, die sich in
unterschiedlichsten Entwicklungsphasen unterschiedlich
äußerten und deren Unterdrückung zum Aufbau entsprechender
Verdrängungen geführt hatte. Mit
diesen Erkenntnissen der Psychoanalyse machte sich der junge Reich nicht
nur theoretisch, sondern auch praktisch vertraut. Als Schüler und Mitarbeiter
von Freud praktizierte er die psychoanalytische Therapie und leitete in
Wien das psychoanalytische (technisch-therapeutische) Seminar, in dem
die Psychoanalytiker die Technik der Psychotherapie diskutierten
und weiterentwickelten. Im Rahmen des in Wien aufgebauten psychoanalytischen
Ambulatoriums mit kostenloser psychotherapeutischer
Beratung wurde Reich zunehmend konfrontiert mit dem massenhaften psychischen Elend vor allem auch unter den Arbeitern. Neurose
und orgastische Potenz Die
klinischen Erfahrungen in der psychoanalytischen Behandlung von Patienten -
gleich welcher sozialer Schicht -
ließen für Reich immer deutlicher
werden, daß jede psychische Erkrankung einhergeht mit einer Störung
der sexuellen Erlebnisfähigkeit,
über die bis dahin im
Rahmen der Psychoanalyse nur oberflächlich oder überhaupt nicht
geforscht wurde. Ein genaueres Hinterfragen des sexuellen Verhaltens und
Empfindens jenseits der Worte »ich
habe mit einer Frau beziehungsweise mit einem Mann
geschlafen« war nach Reich in der Psychoanalyse stark verpönt (Reich
1972:80).
Bei genauerer Analyse des sexuellen
Verhaltens und Empfindens stellte sich für Reich heraus, daß sich beim
Mann hinter einer erektiven
Potenz beziehungsweise bei
der Frau hinter einem klitoralen
Orgasmus durchaus eine mehr oder weniger starke Blockierung
der sexuellen Empfindungsfähigkeit und eine Unfähigkeit zur körperlich-emotionellen
Hingabe verbergen kann. Im
Unterschied dazu prägte Reich den Begriff der »orgastischen
Potenz« für
die ungehemmte sexuelle Erlebnisfähigkeit und Hingabefähigkeit an die
emotionellen Strömungen und unwillkürlichen lustvollen Körper
zuckungen im Geschlechtsakt -
bei vollständiger emotioneller Überflutung
und Ausbleiben bewußten Denkens und unbewußter Phantasien im Orgasmus.
(Der Begriff »orgastische Potenz« sollte zu einem zentralen Begriff
der charakteranalytischen und sexualökonomischen Forschung werden
[ebd.:76f]). Reich hatte beobachtet, daß diese Fähigkeit bei weniger
neurotischen Menschen in der Tendenz eher gegeben war als bei stärker
neurotischen. Von daher vermutete er (was sich später im Zuge der
systematischen Auflösung der Verdrängungen immer mehr bestätigte),
daß ein untrennbarer
Zusammenhang besteht zwischen psychischer Erkrankung
und orgastischer Impotenz beziehungsweise
zwischen seelischer
Gesundheit und voller Orgasmusfähigkeit. Seine auf vielfältige Erfahrungen gestützte Hypothese, die von den traditionellen Psychoanalytikern
als grobe Vereinfachung und Vereinseitigung empfunden wurde, lautete: »Die
Schwere jeder Art seelischer Erkrankung steht in direktem Verhältnis
zur Schwere der genitalen Störung. Die Heilungsaussicht und die Heilerfolge
hängen direkt von der Möglichkeit ab, die volle genitale Befriedigungsfähigkeit
herzustellen.« (ebd.:77) Widerstandsanalyse,
Charakteranalyse und volle Orgasmusfähigkeit In
der Herstellung
der vollen Orgasmusfähigkeit (deren
Qualität sich im Zuge
der später entwickelten systematischen Auflösung des »Charakterpanzers«
immer klarer herausstellte) lag demnach für Reich die zentrale therapeutische
Aufgabe. Ihre Lösung war nur möglich, wenn alle der psychischen
Erkrankung zugrundeliegenden Verdrängungen aufgelöst wurden.
Die Anwendung der psychoanalytischen Therapie stieß dabei - entgegen
den anfänglichen Erfolgen in einzelnen Fällen - zunehmend auf Schwierigkeiten. Widerstandsanalyse
und Aufhebung der Verdrängung Längst
nicht alle Patienten waren in der Lage, sich der »freien Assoziation«
ihrer Gedanken und Gefühle hinzugeben und/oder die Assoziationen
den Therapeuten gegenüber sprachlich auszudrücken. Während die
einen - insbesondere die Intellektuellen - sich
emotionell hinter einer ausgefeilten
und differenzierten Sprache verschanzten und
ihr Denken als Kontrollinstanz
nie wirklich ausschalten konnten, hatten Patienten aus unteren
sozialen Schichten oft Schwierigkeiten, ihre freier fließenden
Assoziationen dem Therapeuten gegenüber sprachlich zu vermitteln. In solchen
Fällen, wo die traditionelle analytische Methode des Aufspürens verdrängter Inhalte durch »freie Assoziationen« scheiterte, bemerkte Reich
bei seinen Patienten immer wieder eine starre, rigide
Haltung, die sich in den
verschiedensten konkreten Formen äußern konnte: zum Beispiel
in einem ständigen gleichförmigen Grinsen, in einem nervösen Herumfummeln
mit den Händen, in einer gleichförmig lauten Sprechweise oder
einer Überhöflichkeit. So unterschiedlich die einzelnen Ausdrucksformen
sein konnten, das Gemeinsame an ihnen war ihre Rigidität,
ihre vollkommen unspontane
Art, ihr erstarrter,
maskenhafter Charakter. Reich
erkannte in diesen rigiden Haltungen einen Widerstand
des Patienten gegen ein Aufbrechen seiner verdrängten Konflikte, eine sogenannte
»Abwehrhaltung«, und widmete sein besonderes Interesse der Analyse
dieser Widerstände (»Widerstandsanalyse«).
Reich schreibt dazu: »So
prägten sich uns die Begriffe von geordneter
und systematischer Arbeit
an den Widerständen. Die
Neurose zerfällt in der Behandlung sozusagen in einzelne Widerstände,
die man säuberlich auseinanderhalten und
gesondert beseitigen
muß, immer vom Oberflächlichsten, dem bewußten
Empfinden des Kranken Nächstliegenden her. Das war nicht neu, nur
konsequente Durchführung der Freudschen Auffassung. Ich riet ab, den
Patienten >überzeugen< zu wollen, daß eine Deutung richtig wäre.
Ist der entsprechende Widerstand
gegen eine unbewußte Regung begriffen und
beseitigt, dann greift der Kranke von selbst dazu. Im Widerstand ist daher
dasjenige Triebelement, wogegen er sich richtet, enthalten. Erkennt
er den Sinn der Abwehr, dann ist er schon dabei, das Abgewehrte zu erfassen. Doch das erfordert genaue und konsequente Aufdeckung jeder
leisesten Regung von Mißtrauen und Ablehnung im Patienten.« (ebd.:94) Schichtweise
Verdrängung und Charakterpanzer Mit
dem Zusammenbruch eines Widerstands und dem Durchbruch der bis
dahin verdrängten Emotionen und Gedanken zeigten sich in der Regel andersartige
Verhärtungen und Widerstände, die es wiederum aufzulösen galt
und so weiter. Aus dieser schichtweisen Auflösung der Widerstände und
dem Aufbrechen der darunterliegenden Verdrängung ergab sich ein schichtweises
Abtragen der Charakterverhärtungen, von »charakterlichen
Panzerungen«. Reich: »Durch
den Begriff der >Panzerung< eröffneten sich für die klinische Arbeit
viele Möglichkeiten. Die seelischen Kräfte und Widersprüche boten kein
Chaos mehr, sondern ein geordnetes, historisch und strukturell greifbares
Gewebe dar. Die Neurose jedes Einzelfalls enthüllte eine besondere
Struktur. Es gab einen Aufbau der Neurose entsprechend der Entwicklung.
Was in der Kindheit zeitlich am spätesten verdrängt war, lag am oberflächlichsten.
[...] Ich
verglich die charakterlichen Schichtungen mit geologischen Schichtablagerungen,
die ebenfalls erstarrte Geschichte sind. Ein Konflikt, der in einem
bestimmten Lebensalter ausgekämpft wurde, läßt regelmäßig eine Spur
im Wesen zurück. Die Spur verrät sich als Charakterverhärtung.
Sie funktioniert
automatisch und läßt sich schwer beseitigen. Der Kranke empfindet
sie nicht als fremd, doch oft als erstarrt
oder als Verlust an Lebendigkeit.
Jede derartige Schicht der charakterlichen Struktur ist ein Stück
Lebensgeschichte, in anderer Form
aktuell
erhalten und wirksam. Die
Praxis zeigte, daß sich durch ihre Auflockerung der alte Konflikt mehr oder
minder leicht wiederbeleben ließ. Waren die erstarrten Konfliktschichten
besonders zahlreich und automatisiert, bildeten sie eine kompakte
Einheit, die man schwer durchdringen konnte, so fühlte man sie wie
einen Panzer, der den lebendigen Organismus umgab. [...] Die
Energie, die den Panzer zusammenhielt, war meist gebundene Destruktivität.
Das zeigte sich dadurch, daß sofort Aggression frei zu werden begann,
wenn man den Panzer erschütterte. Woher stammte die dabei auftretende
destruktive und haßvolle Aggression? Welche Funktion hatte sie?
War sie natürliche, biologische Destruktion?«
(ebd.: 113) Die
klinische Widerlegung der These vom natürlichen Destruktionstrieb »Jahre
vergingen, ehe ich Klarheit hatte. Die im Charakter gebundene Destruktivität
ist nichts als Wut über die Versagung im Leben und über den
Mangel an sexueller Befriedigung. Ging man in die Tiefe vor, so wich jede
destruktive Regung einer sexuellen. Die Destruktionslust war nur die
Reaktion auf
Enttäuschung in der Liebe oder auf Liebesverlust. Wenn man
Liebe und Befriedigung drängender Sexualität anstrebt und auf unüberwindliche
Hindernisse stößt, dann beginnt man zu hassen. Doch der Haß kann nicht ausgelebt, er muß gebunden werden, um die Lebensangst zu
vermeiden, die er veranlaßt. Versagte Liebe macht also Angst. Ebenso macht
gebremste Aggression Angst; und Angst bremst Haß- und Liebesansprüche.
Ich verstand nun theoretisch im Aufbau, was ich beim Abbau der
Neurose analytisch erlebte: das gleiche in umgekehrter Ordnung, und buchte
das wichtigste Ergebnis: Der orgastisch unbefriedigte Mensch entwickelt
ein unechtes Wesen und Angst vor automatischen, lebendigen Reaktionen,
also auch vor der vegetativen Selbstwahrnehmung.« (ebd.: 114) Mit
der Methode der Charakteranalyse
war
es Reich also gelungen, die einzeln
im Charakterpanzer übereinandergelagerten Schichten von Verdrängungen
aufzulösen und bis zum Kern der
Neurose vorzudringen, das heißt
die ursprünglichen Triebtendenzen des Individuums freizulegen. Dabei
stellte sich heraus, daß Destruktivität
immer nur eine Folge der Verdrängung
tieferliegender sexueller Triebe war.
Die Vorstellung von einem ursprünglich
biologischen Destruktionstrieb des Menschen, die der späte Freud
in die Diskussion gebracht hatte und die seither immer als Rechtfertigung
reaktionärer Auffassungen von Zucht und Ordnung herhalten mußte,
war damit grundlegend widerlegt. Auflösung
des Charakterpanzers und charakterliche Selbststeuerung Die
Anwendung der charakteranalytischen Technik und die systematische Auflösung
der Charakterpanzerungen brachten nicht nur eine Veränderung
der sexuellen Empfindungsfähigkeit mit sich, sondern auch grundlegende Veränderungen
im gesamten Denken, Fühlen und
Verhalten der
Patienten:
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Eine Einführung in Wilhelm Reichs »Die sexuelle Revolution« Teil 1 „Das
Ziel einer Kulturrevolution ist die Herstellung menschlicher
Charakterstrukturen, die zur Selbststeuerung
fähig sind.“ Vorbemerkung: Wilhelm Reichs
»Die sexuelle Revolution« (1) besteht aus zwei Teilen. Der erste erschien 1929 unter dem Titel »Geschlechtsreife, Enthaltsamkeit und
Ehemoral - eine Kritik der
bürgerlichen Sexualreform«. Dieses Buch beruht
auf den klinischen und politischen Erfahrungen, die Reich in den zwanziger
Jahren in Wien gemacht hatte. Der zweite Teil (»Der Kampf um das
'neue Leben' in der Sowjetunion«) entstand aus einem Aufenthalt Reichs
in der UdSSR 1929, der ihn zu einer Änderung seiner bis dahin positiven
Haltung gegenüber der kulturpolitischen Entwicklung in der UdSSR bewog. Der folgende Aufsatz beschränkt sich auf eine Einführung in das erste
Kapitel des ersten Teils und versucht, die durch das ganze Buch sich hindurchziehende
Fragestellung für die Analyse der sozialen Ordnung des Geschlechtslebens
herauszuarbeiten. Die Kapitel V (»Die Zwangsfamilie als Erziehungsapparat«)
und VII (»Zwangsehe und sexuelle Dauerbeziehung«) werden in dem Aufsatz
»Autoritäre Kleinfamilie und Sexualunterdrückung« an
anderer Stelle dieses Heftes behandelt. (2) Der Einfluß der politischen Situation
auf die Arbeiten von Reich Seine
Erfahrungen aus der klinischen Arbeit insbesondere auch mit Patienten
aus der Unterschicht (und nicht ein vorweg bezogener ideologischer Standpunkt)
brachten Reich dazu, in die sexualpolitische Debatte der zwanziger und dreißiger Jahre einzugreifen. »Die
sexuelle Revolution« bildet „ein geschlossenes Ganzes in der Widerspiegelung der
sexualpolitischen
Verhältnisse
der zwanziger Jahre." (3) Deshalb soll zunächst ganz kurz Reichs
Lebensweg im noch klerikal-monarchistisch durchsetzten Österreich und
im Deutschland des aufkommenden Faschismus dargestellt (4) und dann auf
die Erkenntnisse eingegangen werden, die Reich aus seinen therapeutischen Arbeiten gezogen hat. Seit
1922 arbeitete Reich in Wien in
der psychoanalytischen Klinik von Freud
und (später) in »sexualhygienischen Beratungsstellen«.
Dort
wurde kostenlos über Verhütungsmittel, Abtreibung, Sexualerziehung usw.
beraten, so daß Reich schon bald mit dem materiellen und psychischen
Elend der
Arbeiter konfrontiert wurde. In dem Versuch, die gesellschaftlichen Ursachen
der materiellen und psychischen Massenverelendung zu ergründen, beschäftigte
er sich u.a. eingehend mit den Werken von Marx und
Engels. Nachdem
Reich miterlebt hatte, wie von Seiten der Staatsgewalt eine brutale Schießerei
auf demonstrierende Arbeiter verübt wurde, trat er voller Empörung
der Kommunistischen
Partei Österreichs bei. (5) Etwa zur gleichen Zeit entwickelten
sich die Grundlagen der späteren Differenzen zwischen Reich und politisch engagierten Psychoanalytikern
einerseits und Freud und den orthodoxen Psychoanalytikern andererseits, die sich vor
allem auf die Frage nach den
gesellschaftlichen Konsequenzen
der psychoanalytischen Entdeckungen
bezog.
1928 gründete Reich zusammen mit seiner damaligen Frau
Anni und einigen befreundeten Analytikern und Frauenärzten die »Sozialistische
Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung«, und
eröffnete einige Zentren für sexualhygienische Beratung, die aufgrund ihrer
kostenlosen Behandlung bald überfüllt waren. Die Schwierigkeiten, die diesen
Beratungszentren gemacht wurden, kamen nicht nur aus der monarchistisch-reaktionären Atmosphäre Wiens und nicht nur
von den politischen Organisationen der Rechten, sondern auch von denen der
Arbeiterklasse. Reich
siedelte 1930 nach Berlin über,
weil er für die Durchsetzung seiner sexualpolitischen Arbeit dort größere Möglichkeiten sah. Die Arbeiterbewegung
in Berlin war wesentlich stärker als in Wien. Er wurde Mitglied der KPD.
Auf
seinen Vorschlag hin wurde innerhalb der KPD der »Deutsche Reichsverband
für proletarische Sexualpolitik« als »Zentrum für Diskussion und
Sexualhygiene« gegründet, der schon bald nach seiner Gründung über 20
000 Mitglieder hatte. Auf den »Instruktionsabenden« des Verbandes, der
sich abgekürzt »SEXPOL«
nannte,
wurde von den vorgetragenen Alltagsproblemen der einfachen Mitglieder und der Funktionäre ausgegangen und nicht
von globalen Weltzusammenhängen. Im Jahre der Machtergreifung des
Nationalsozialismus wurde Reich aus der KPD ausgeschlossen (und
ein Jahr später aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung).
(6).....
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Eine
Einführung in Wilhelm Reichs »Die sexuelle Revolution« Teil
2 „Es
ist eine echte, tief umwälzende Revolution der kulturellen Seinsverhältnisse,
die wir durchleben ... Die Umwälzung
unseres Lebens greift tief an die
Wurzel unserer emotionellen, sozialen und wirtschaftlichen Existenz
... Wenn ich von revolutionären Umwälzungen
unserer kulturellen Seinsverhältnisse spreche, so habe
ich vor allem die Ablösung der patriarchalisch-autoritären durch
die natürliche Familienform im Auge". (Wilhelm
Reich: Die sexuelle Revolution, S. 14f) Über
seine Arbeit in den sexualpolitischen Beratungsstellen und in der Sex-Pol-Bewegung
in Wien und Berlin wurde Reich mit dem auch unter Arbeitern
weit verbreiteten psychischen Elend konfrontiert. Da sich für ihn in seiner
klinischen Praxis ein unmißverständlicher Zusammenhang zwischen
psychischer Erkrankung und Sexualunterdrückung enthüllt hatte, ging er in seinen
soziologischen Arbeiten systematisch der Frage nach den gesellschaftlichen
Hintergründen und Funktionen der Sexualunterdrückung nach. Dies führte
ihn zur genaueren Untersuchung der Struktur der autoritären Kleinfamilie
und der in ihr typischerweise ablaufenden psychischen Prozesse sowie
zur Auseinandersetzung mit der herrschenden Familienideologie und Sexualmoral. Die
autoritäre Kleinfamilie spielt im Zusammenhang mit der Sexualunterdrückung
und den damit einhergehenden zwangsmoralischen Regulierungen in
mehrfacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Ihre besondere Struktur bewirkt:
Familienideologie
und Ehemisere Die
Struktur der autoritären Kleinfamilie (und die damit notwendig verbundene
Sexualunterdrückung) bewirkt nach Reich gerade das Gegenteil dessen, was
durch die herrschende Familienideologie als Wesen von Ehe und Familie verkündet
wird: Die Sexualunterdrückung mache die Menschen liebesunfähig
und erzeuge dadurch erst die Misere im Zusammenleben der Ehepartner
- eine
Misere, die in immer krasseren Widerspruch tritt zu den von
der Familienideologie verbreiteten Normen von Ehe- und Familienglück. Trotz
dieser Misere wird die Auflösung der Ehe aus ökonomischen, juristischen
und moralischen Gründen erschwert bzw. unmöglich gemacht. Reich: „Da es
unwahrscheinlich, ja sexualökonomisch
unmöglich ist,
daß ein
sexuell voll
intakter Mensch sich den Bedingungen der ehelichen Moral unterwirft
- nur ein
Partner,
und mit diesem lebenslänglich
-, ist
eine tiefgreifende
Unterdrückung des Sexualbedürfnisses, vor allem bei der Frau, allererste
Forderung ... Aber
die gleichen Forderungen sind es, die die Ehe untergraben,
sie
schon
bei ihrer Schließung dem Untergang weihen. Die
Forderung der
lebenslänglichen Geschlechtsgemeinschaft birgt von vornherein
die Revolte gegen den Zwang in sich, die sich bewußt oder unbewußt umso
heftiger gestaltet, je lebendiger und aktiver die sexuellen Bedürfnisse
sind." (Sexuelle
Revolution, S.150) „Die
Ehen könnten, eine Zeitlang zumindestens, gut sein, wenn sexuelle Übereinstimmung
und Befriedigung bestünde. Voraussetzung dessen wäre aber
eine sexualbejahende Erziehung, sexuelle Erfahrenheit vor der Ehe, Überwindung
der herrschenden gesellschaftlichen Moral. Das aber, was die Ehe
unter Umständen gut gestaltet, ist gleichzeitig der Totengräber der Ehe,
denn ist die Sexualität einmal bejaht, ist die moralische Anschauung überwunden,
dann gibt es kein inneres Argument gegen den Verkehr mit anderen Partnern
(außer eine gewisse Zeit lang, aber sicher nicht lebenslänglich, die Treue
aus Befriedigtheit); die eheliche Ideologie geht unter, die Ehe ist keine
Ehe mehr, wohl aber eine sexuelle Dauerbeziehung, die sich gerade wegen
der wegfallenden Unterdrückung der genitalen Wünsche, bei sonst gutem
Einvernehmen im ganzen glücklicher gestalten kann, als es je die strenge
Einehe vermag." (S.151) „So
miserabel und trostlos, so leidvoll und unerträglich die Ehesituation und Familienkonstellation
ist, ideologisch muß sie nach außen sowohl wie nach innen von den
Familienmitgliedern verfochten werden. Die gesellschaftliche Notwendigkeit
dieses Seins zwingt zum Vertuschen der Misere und zu ideologischem
Hochhalten der Familie und Ehe, erzeugt auch die weit verbreitete
Familiensentimentalität und die Schlagworte vom „Familienglück“, vom
„trauten Heim“, vom „stillen Ruhepunkt“ und vom Glück, das die Familie
angeblich für die Kinder bedeutet. Aus der Tatsache, daß es in unserer
Gesellschaft außerhalb der Ehe und Familie noch trostloser aussieht, weil
da jeder materielle, rechtliche und ideologische Schutz des Sexuallebens fehlt,
schließt man auf die Naturnotwendigkeit der Familiensituation."
(S.90) Zwangsfamilie
als Produktionsstätte des Konservativismus Die
ideologische Verklärung der an sich trostlosen Familiensituation hat
nach Reich die gesellschaftliche Funktion, den tatsächlichen
Herrschaftscharakter der Familienstruktur und der mit ihr einhergehenden Sexualunterdrückung
zu verschleiern. In seinem Buch »Die sexuelle Revolution«
geht es ihm vor allem darum, diesen Herrschaftscharakter der autoritären
Kleinfamilie und ihre Funktion im Rahmen einer repressiven Gesellschaft
herauszuarbeiten. Dabei kommt er zu folgender Einschätzung: „Die
wichtigste Erzeugungsstätte der ideologischen Atmosphäre des Konservativismus
ist die Zwangsfamilie. Ihr Grundtypus ist das Dreieck: Vater,
Mutter und Kind. Während die konservative Anschauung in der Familie
die Grundlage, wie manche sagen, die »Zelle« in der menschlichen Gesellschaft
überhaupt sieht, erblicken wir in ihr bei Berücksichtigung ihrer Wandlungen
im Laufe der historischen Entwicklung und ihrer jeweiligen gesellschaftlichen
Funktion ein Ergebnis
bestimmter
ökonomischer Strukturen ...
Wenn aber die konservative Sexualethik und die Rechtsordnung von der Familie
immer wieder als der
Grundlage
des »Staates« und der »Gesellschaft«
sprechen, so haben sie nur in dem Sinne recht, daß die Zwangsfamilie
zum Bestand des autoritären Staates und der autoritären Gesellschaft untrennbar
gehören. " (S.88) „Ihre kardinale Aufgabe, diejenige, um
deren willen sie von konservativer Wissenschaft
und konservativem Recht am meisten verteidigt wurde, ist ihre Eigenschaft
als Fabrik
autoritärer Ideologien und
konservativer Strukturen. Sie
bildet den Erziehungsapparat, durch den fast ausnahmslos jedes Mitglied der
Gesellschaft vom ersten Atemzug an hindurch muß. Nicht nur als Institution autoritärer
Art, sondern, wie wir gleich sehen werden, kraft ihrer eigenen
Struktur, beeinflußt sie das Kind im Sinne der konservativen
Weltanschauung; sie ist der Mittler zwischen der wirtschaftlichen Struktur
der Gesellschaft und deren ideologischem Überbau, sie ist durchtränkt
von der konservativen Atmosphäre, die
sich notwendigerweise in jedem ihrer Mitglieder
unauslöschlich einprägt. Sie übermittelt durch ihre Formation und durch
direkte Beeinflussung nicht nur allgemeine Einstellungen zur bestehenden
Gesellschaftsordnung und konservative Gesinnungsart, sondern nimmt
auch insbesondere durch die sexuelle Struktur, der sie entspringt und die
sie weiterpflanzt, unmittelbaren Einfluß auf die sexuelle Struktur der
Kinder in konservativem Sinn. Es ist kein Zufall, daß die Einstellung
der Jugend für bzw. gegen die herrschende Ordnung bis zu einem sehr
hohen Grad in einem proportionalen Verhältnis zu der Einstellung für bzw.
gegen die Familie steht. Es ist auch kein Zufall, daß die konservative
und reaktionäre Jugend im ganzen und
großen, von abweichenden
Einzelfällen abgesehen, familienanhänglich und -erhaltend, die
revolutionäre Jugend dagegen familienfeindlich und -zerstörend ist und sich
aus dem Familienverband mehr oder weniger vollständig löst. Das hängt mit
der sexualfeindlichen Atmosphäre und Struktur der Familie, mit den
Beziehungen der Familienmitglieder zueinander aufs innigste zusammen.
“ (S.88f) Woraus
leitet Reich derart weitreichende, in
den
Ohren der Konservativen geradezu
ungeheuerlich klingende Thesen ab? Er gelangt zu einer solch radikalen
Kritik der Zwangsfamilie aufgrund seiner charakteranalytischen Arbeit, bei
der immer deutlicher wurde, welch schwerwiegende psychische Schäden
durch die typische Struktur der autoritären Kleinfamilie bei deren Mitgliedern
erzeugt worden waren; und daß diese psychischen Schäden notwendig
verbunden sind mit der Hervorbringung autoritärer Charakterstrukturen,
die sich in die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse widerstandslos
einfügen bzw. diese Verhältnisse und damit ihre eigene Unterdrückung sogar
aktiv unterstützen. Wie läßt sich dieser Zusammenhang zwischen Familienstruktur,
Charakterstruktur und
Krankheit sexualökonomisch
erklären?
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Die
Bedeutung Wilhelm Reichs für die Theorie und Praxis der psychosozialen
Emanzipation (1) „In
den Marxismus
integriert, ist
die gereifte,
von ihren bürgerlich-individualistischen Eierschalen und ihren
Einseitigkeiten befreite Psychoanalyse besonders in der durch Reich und andere
weiterentwickelten Gestalt ein wesentlicher Ansatz für die spezifische
Theorie und Praxis der Kulturrevolution. Um die Vernichtung der Vorurteile gegen sie werden wir einen unserer wichtigsten
und hartnäckigsten Kämpfe zu führen haben. Bahros
Kritik einer repressiven Produktivität Rudolf
Bahro hat in seinem Buch »Die Alternative« u.a. eine radikale
Kritik einer
am bloß quantitativen Wachstum orientierten Ökonomie geleistet, in der die
Unterdrückung
emanzipatorischer Bedürfnisse zur
Voraussetzung und zum
Produkt der auf Wachstum ausgerichteten Strukturen ist. Daß der Kapitalismus
die Unterdrückung emanzipatorischer Bedürfnisse zur Voraussetzung hat, ist
seit Marxens Entfremdungstheorie und Kapitalismusanalyse mindestens
unter Linken längst bekannt. Daran haben auch die strukturellen Veränderungen
des Kapitalismus seit Marx nichts wesentliches geändert, auch wenn
der Versuch der Verdrängung dieses Tatbestands durch die bürgerliche ökonomische
Theorie (durch zunehmend mathematische Formalisierung und raffiniert-verdrängende
Begriffsbildung) immer ausgefeilter wurde. (2) Daß aber
auch in Ländern des real existierenden Sozialismus sich Strukturen herausgebildet
haben, die - trotz veränderter
Eigentumsverhältnisse und trotz vom Kapitalismus unterschiedener
gesamtwirtschaftlicher Planungstechniken - einem ganz ähnlichen
Produktivitätsverständnis und Wachstumsdenken unterliegen, ist erst durch
die Analyse Bahros auf tieferliegende Ursachen zurückgeführt
worden. Solange
die Ausrichtung der Ökonomie und aller gesellschaftlichen Bereiche auf eine Produktivität hin erfolgt, die die Zerstörung
menschlicher Produktivität,
Kreativität und Entfaltung zur
notwendigen Voraussetzung hat und immer
wieder hervorbringt, kann von Sozialismus im emanzipatorischen Sinn keine
Rede sein. Die Fixierung
auf das quantitative Wachstum wird
vielmehr zum
Alibi für die Aufrechterhaltung rigider, dem Kapitalismus entstammender
Strukturen des Arbeitsprozesses und damit zur Legitimation
von Herrschaft
auch unter nach-kapitalistischen Bedingungen: In den Ländern des real existierenden
Sozialismus Osteuropas.
Die Unterdrückung emanzipatorischer Bedürfnisse durch die rigiden
Strukturen des Arbeitsprozesses sowie der darauf
vorbereitenden Sozialisation erzeugt immer und immer wieder kompensatorische
Bedürfnisse, die
ihrerseits zu innerpsychisch in den Massen verankerten Triebkräften weiterer Wachstumsorientierung und weiterer Unterdrückung
werden. Die
genaue Analyse des Verhältnisses zwischen emanzipatorischen und kompen-satorischen Bedürfnissen wird damit zum notwendigen Bestandteil einer
emanzipatorisch orientierten Kritik nicht nur des Kapitalismus, sondern auch
des real existierenden Sozialismus. Die folgenden Ausführungen machen den
Versuch aufzuzeigen, daß eine solche Analyse zurückgreifen kann auf in diesem
Zusammenhang ganz wesentlichen Ergebnisse der charakteranalytischen und
triebökonomischen Forschungen Wilhelm Reichs. Wenn es um die Erarbeitung
alternativer
sozialistischer Orientierung geht,
die frei ist von stalinistischer
Deformierung und technokratischer Verirrung, dürfte die Verbindung von
Bahro und Reich wesentliche Perspektiven eröffnen - nicht
nur auf der Ebene der theoretischen Analyse repressiver Strukturen,
sondern auch für den praktischen Kampf
für die psycho-soziale Emanzipation des
Menschen -
im Kapitalismus wie im real
existierenden Sozialismus. Kompensatorische
und emanzipatorische Interessen bei Bahro „Die
kompensatorischen
Interessen
auf der einen Seite sind die unvermeidliche
Reaktion darauf, dass die Gesellschaft die Entfaltung, Entwicklung und Bestätigung
zahlloser Menschen frühzeitig beschränkt und blockiert. Die entsprechenden
Bedürfnisse werden mit Ersatzbefriedigungen abgespeist. Man muß
sich im Besitz und Verbrauch von möglichst vielen, möglichst (tausch-)wertvollen
Dingen und Diensten dafür schadlos halten, dass man in den
eigentlich menschlichen Bedürfnissen zu kurz gekommen ist. Auch das Streben
nach Macht fällt, als eine Art höherer Ableitung, mit unter die kompensatorischen
Interessen. Die
emanzipatorischen
Interessen
dagegen richten sich auf das Wachstum, die Differenzierung
und die Selbstverwirklichung der Persönlichkeit in allen Dimensionen
menschlicher Aktivität. Sie verlangen vor allem die potentiell allumfassende
Aneignung
der in
anderen Individuen, in Gegenständen, Verhaltensweisen,
Beziehungen objektivierten menschlichen Wesenskräfte, ihre Verwandlung
in Subjektivität, in einen Besitz nicht der juristischen Person, sondern
der geistigen und sittlichen Individualität, der seinerseits nach
produktiver Umsetzung drängt. " (Bahro: Die Alternative, a.a.O., S.322) Die
Sucht
nach Konsum, die
- wie
jede andere Sucht - nie wirklich befriedigt
werden kann, erzeugt die immer wieder wachsende Notwendigkeit einer Unterwerfung
im entfremdeten
Arbeitsprozess, um
das für den Konsum notwendige
Geld zu verdienen. Die entfremdeten Arbeitsbedingungen ihrerseits steigern
wiederum die kompensatorischen Bedürfnisse usw.. Aus diesem Zirkel führt
keine noch so hohe Steigerung der Produktion heraus, bei der ansonsten
die Strukturen des Arbeitsprozesses und der auf ihn vorbereitenden Sozialisation
(in Familie, Schule usw.) unverändert rigide bleiben. Im Gegenteil führt
ein bloß quantitatives Wachstum der Produktion und die aus diesem Ziel
abgeleitete Effizienzorientierung nur zur Reproduktion von Unterdrückung
auf immer neuen Ebenen. Diesen Zirkel zunächst auf der Ebene des Denkens
radikal durchbrochen und damit angeknüpft zu haben an die emanzipatorische
Dimension bei Marx, die unter der stalinistischen Deformation des
Marxismus so total verschüttet wurde, ist einer der wesentlichsten Beiträge
von Bahro. In seiner »Alternative« hat
er herausgearbeitet und untermauert, daß
- bei allen Unterschieden in der
Form des Eigentums an Produktionsmitteln
sowie in den Lenkungsmethoden und Koordinationsmechanismen - auch
in den Ländern des real existierenden Sozialismus die damit verbundene
Unterdrückung emanzipatorischer Interessen vorherrscht. Der
Beitrag Reichs im Kampf um die psychosoziale Emanzipation Was
Bahro in seiner Umschreibung des Verhältnisses zwischen emanzipatorischen
und kompensatorischen Bedürfnissen anspricht, knüpft nicht nur an die Marxsche
Entfremdungstheorie an,
sondern greift implizit zurück auf eine der wesentlichsten
Entdeckungen der Freudschen Psychoanalyse bzw. der von Wilhelm
Reich weiterentwickelten
charakteranalytischen und triebökonomischen
Forschungen, deren
umwälzende Erkenntnisse auch innerhalb der Linken
bis heute weitgehend unbekannt geblieben sind. Soweit Reichs Forschungen
nicht völlig ignoriert werden, wird er - auch
innerhalb der Linken - als „Psychologist"
eingestuft und ad acta gelegt oder einfach als „geisteskrank“ abgestempelt
- mindestens was seine Entwicklung nach 1933 anbelangt.(3) (An dieser
Stelle folgte im Orginalpapier die Darstellung von Reichs Theorie vom
Charakterpanzer, ähnlich wie in meinem Artikel »Triebenergie, Charakterstruktur,
Krankheit und Gesellschaft«.) Über
die pauschale Feststellung eines Zusammenhangs
zwischen gesellschaftlicher
Repression und individueller Erkrankung hinaus
bieten die Reichschen Forschungen Aufschlüsselungen. darüber,
über welche Vermittlungsschritte sich gesellschaftliche Repression
innerpsychisch und innerkörperlich verankert
und sich daraus die Formen individueller Erkrankung ergeben. Sie ermöglichen
dadurch eine radikale
Ideologiekritik der herrschenden Medizin, Psychologie, Psychiatrie und Pädagogik,
die
mit ihren Forschungen ebenso wie
mit ihrer »Therapie« systematisch von der wesentlichen Ursache der Massenerkrankung, der repressiven Struktur der Gesellschaft, ablenken und
stattdessen in ihren jeweiligen Bereichen diese Repression teilweise
mit brutalsten Mitteln reproduzieren. Wenn
nur einige der von Reich behaupteten Zusammenhänge in ihrem wesentlichen
Kern zutreffen, dann wäre das Reichsche Werk von so ungeheurer Relevanz
für eine emanzipatorisch orientierte sozialistische Bewegung, daß die
vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit seinem Werk nicht länger aufgeschoben
werden kann bzw. daß der Kampf gegen die diesbezüglichen Vorurteile
aufgenommen werden muß. Die umfassende Rezeption des Reichschen Werkes
bietet nicht nur - eingebettet in die politökonomische Analyse der
marxistischen Theorie - die Grundlage einer um die psychosoziale Dimension
erweiterten Kapitalismuskritik, sondern auch die Grundlage für eine emanzipatorisch
orientierte Fundamentalkritik der Systeme des real existierenden
Sozialismus....... Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (120k) zu finden:
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Version: 24.06.08 20:28:12