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Bernd Senf in
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1.
Funktionelle Identität zwischen emotionalem Panzer und Denkpanzer So
wie sich ein emotional gepanzerter Mensch gegen das freie Strömen von
emotionaler Energie in seinem Körper blockiert und entsprechende Widerstände
zur Aufrechterhaltung seines neurotischen Gleichgewichts entwickelt, so
entwickelt ein im Denken gepanzerter Mensch entsprechende Widerstände,
wenn sein starres Denksystem in seinem Gleichgewicht bedroht ist. Eine
solche Bedrohung ist z. B. dann gegeben, wenn die verinnerlichte
Ideologie, wenn das verinnerlichte »Weltbild« durch bestimmte
Auffassungen, Informationen, Theorien und Interpretationen ins Wanken
geraten bzw. gar in seinem Kern erschüttert werden könnte. Bezüglich der
Auflösung emotionaler Erstarrungen hat Reich deutlich herausgearbeitet,
dass ein zu abruptes Aufbrechen einzelner Panzerungen zu panikartigen
Reaktionen und zu einer noch stärkeren Erstarrung des Organismus führen
kann. Die gleiche Gefahr scheint mir gegeben, wenn versucht wird,
sozusagen mit der »ideologischen Brechstange« an die Auflösung
erstarrter Denkstrukturen, an die Erschütterung einer verinnerlichten
Ideologie eines Menschen oder gar ganzer Gruppen heranzugehen. Ebenso wie
bei der Auflösung emotionaler Erstarrungen ist auch bei der Auflösung
von Denkerstarrungen sehr behutsam vorzugehen, wenn lebendige
Lernprozesse und ein lebendiges Denken wieder in Bewegung kommen sollen.
Ich möchte die Methode, die auf die Freisetzung lebendiger Lernprozesse
gerichtet ist, »lebendige Didaktik« nennen. Sie wird sich wesentlich
zu unterscheiden haben von der »starren Didaktik«, von der der
herrschende Schul- und Wissenschaftsbetrieb geprägt ist. Die Anwendung
einer »starren Didaktik«, die Vorgabe eines inhaltlich aufgesplitterten,
starren Lehrplans und Stundenablaufs und damit verbundener Prüfungen,
zerstört nicht nur lebendige Lernprozesse, sondern bricht auch noch die
offene oder (in Form von Lernstörungen) unbewusste Auflehnung des
Lernenden mit dem Mittel des Prüfungsdrucks. Unter solchen Bedingungen
wird nicht mehr gelernt aus Interesse oder Neugier, sondern nur noch für
die Prüfungen. Vielen Erwachsenen fällt entsprechend die Vorstellung
schwer, dass Lernen überhaupt Spaß machen kann. Sie haben sich daran gewöhnt,
nur unter Druck zu lernen - und dabei mehr oder weniger an sich selbst zu
(ver-)zweifeln. Meine These, die sich auf 15 Jahre Lehrererfahrung mit
Erwachsenen gründet, ist hingegen die, dass sich verschüttete Lust am
Lernen tendenziell wieder freilegen läßt, dass erstarrtes Denken
wieder in Bewegung kommen kann. Ich will weiter unten darstellen, wie
sich für mich selbst die Möglichkeit einer »lebendigen Didaktik« immer
klarer herausgeschält hat. 2.
Zum Verhältnis von Therapie und ideologischer Erstarrung Ich stelle
demgegenüber die These auf, dass die Erstarrung des Denkens auf der Ebene
des Denkens selbst angegangen werden muss, um die verschüttete Möglichkeit
eines lebendigen, ganzheitlichen Denkens wieder freizulegen. Die
Auflockerung der emotionalen Blockierungen (insbesondere der Blockierung
des Augensegments) kann zwar eine notwendige Voraussetzung sein, um beim
Einzelnen den mehr oder weniger gestörten Kontakt zur Realität
wiederherzustellen. Aber die emotionale Öffnung wirkt sich zunächst
einmal nur auf eine veränderte Wahrnehmung der unmittelbaren Realität
der »Alltagserfahrung« aus. Sie reicht noch nicht hin, um auch »die
Augen zu öffnen« gegenüber den dahinter sich verbergenden
gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen. Die Wahrnehmung dieser umfassenden
gesellschaftlichen Realität ist nämlich mehr oder weniger verzerrt durch
die erstarrten Interpretationsmuster, die in Form der herrschenden
Ideologie im Kopf verankert sind und durch die grundlegende Zusammenhänge
und Konflikte der gesellschaftlichen Realität aus der Wahrnehmung
ausgeblendet und aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Das Vertrauen darauf, allein über
Therapie nicht nur die emotionalen, sondern auch die ideologischen
Erstarrung aufzulösen, scheint mir unbegründet und unhaltbar, scheint
mir selbst schon wieder Ausdruck einer neuen Ideologie zu sein. Die
therapeutische Selbstveränderung bringt nicht von selbst die Erleuchtung
über die Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse (z.B. über die
tieferliegenden ökonomischen Bewegungsgesetze) mit sich. Die Selbstveränderung
vieler Menschen bringt auch noch nicht von selbst die Veränderung ökonomischer
und gesellschaftlicher Verhältnisse hervor. Damit sich die
gesellschaftlichen Strukturen verändern, müssen sich Menschen in die
gesellschaftlichen Prozesse, in die sozialen Auseinandersetzungen mit
einmischen. Aber wo und wie sich die Einzelnen einmischen, was sie mit
ihren frei gewordenen Energien anfangen, ist sehr stark geprägt von der
verinnerlichten Ideologie, d.h. davon, wie gesellschaftliche Konflikte
wahrgenommen und interpretiert bzw. wie sehr diese Konflikte aus dem
Bewusstsein verdrängt werden. Dies
alles sind keine Argumente gegen Therapie. Eine gute Therapie kann
Erstarrung auf den Ebenen auflösen, auf denen sie arbeitet: auf der Ebene
charakterlicher und körperlicher Panzerungen. (Und sie kann dazu
beitragen, die Abspaltung des Denkens vom Fühlen zu überwinden.) Andere
Erstarrungen müssen entsprechend auf anderen Ebenen und mit anderen
Mitteln angegangen und aufgelöst werden: Denkerstarrungen auf der Ebene
von Denkprozessen, gesellschaftliche Erstarrungen auf der Ebene
gesellschaftlicher Prozesse. Das heißt nicht, dass diese Ebenen strikt
voneinander getrennt sind, sie hängen vielmehr wechselseitig
miteinander zusammen, stehen in einem dialektischen Verhältnis
zueinander. Aber die Verfestigung der erstarrten Strukturen unterliegt auf
den einzelnen Ebenen jeweils besonderen Gesetzen, die für die jeweiligen
Ebenen typisch sind. Das Gemeinsame liegt in den Erstarrungen, die
Unterschiede liegen in den Formen ihrer Verankerung und in den Wegen zu
ihrer Auflösung. Eine umfassende Befreiung des Lebendigen kann nur in dem
Maße gelingen, wie alle Ebenen der Erstarrung mit in den Veränderungsprozess
einbezogen werden. Jede Beschränkung auf nur eine Ebene und das blinde
Vertrauen darauf, dass die Veränderung auf einer Ebene von selbst auf
andere Ebenen übergreift, wird immer wieder in eine Sackgasse führen. Um die Auflösung
von Denkerstarrungen soll es im folgenden gehen. Ich will dabei versuchen,
anhand der Darstellung meines eigenen Weges durch den Wissenschaftsbetrieb
eine Methode herauszuarbeiten, die sich für mich im Bereich Ökonomie und
Sozialwissenschaften immer deutlicher herauskristallisiert hat und von
der ich glaube, dass sie auch auf andere Bereiche entsprechende Anwendung
finden kann - eine Methode, die darauf gerichtet ist, erstarrtes Denken
wieder in Bewegung zu bringen. Ich hoffe, mit meinen Ausführungen
ansatzweise verdeutlichen zu können, wie mit der vorherrschenden Art des
Lernens im Schul- und Wissenschaftsbetrieb die Lust am Lernen systematisch
zerstört wird. Aber diese Erkenntnis allein wäre nur bedrückend. Es
geht mir um mehr: Es geht mir darum aufzuzeigen, dass es Möglichkeiten
gibt, diesen Zerstörungsprozess aufzuhalten und umzukehren; dass es
tendenziell möglich ist, lebendiges Lernen aus den Fesseln erstarrter
Strukturen zu befreien. In dem Maße, wie dies gelingt, wird lebendiges
Lernen zu einer erregenden Entdeckungsreise, die allerdings nicht mehr
Halt macht vor den erkenntnismäßigen Tabus der herrschenden
Wissenschaft, Ideologie und Moral, sondern immer weiter vordringt zu den
tieferen Wurzeln bestehender Herrschaftsverhältnisse, zu den tieferen
Wurzeln der Unterdrückung des Lebendigen. Die folgenden Schwerpunkte sind zusätzlich in der PDF-Datei (30 Seiten) zu finden:
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Version: 24.06.08 20:24:24