Steuer-Oase Bundesrepublik: Wie BAYER sich arm rechnet
Von Udo Hörster
Im Jahr 2004 wartet Leverkusen wieder einmal vergeblich auf Gewerbesteuer-Überweisungen
von BAYER. Wie andere Konzerne zahlt der Chemie-Multi in der
Bundesrepublik kaum noch Steuern. Die Bücher "Asoziale
Marktwirtschaft" von Hans Weiss und Ernst Schmiederer und
"Geheimnisse der Unternehmenssteuern" von Lorenz Jarass und
Gustav M. Obermair enthüllen, mit welchen ganz legalen Steuertricks BAYER
& Co. Milliarden einsparen und Bund, Ländern und Kommunen so die größten
Probleme bereiten.
"Wann zahlt BAYER wieder Gewerbesteuer?", fragte ein Journalist
der Rheinischen Post BAYER-Chef Werner Wenning auf der letzten
Bilanz-Pressekonferenz. "Wenn wir wieder Gewinne machen. 2004
nicht!", antwortete der Vorstandsvorsitzende lapidar. "Gewinne
im Sinne des Steuerrechts" meinte er. Sein Leverkusener Werksleiter
Walter Schulz gebrauchte diese präzisere Formulierung dankenswerterweise,
als er in der Neuss-Grevenbroicher Zeitung erklärte, warum die Stadt
Dormagen im Jahr 2001 von BAYER trotz satter Erträge keinen Cent
Gewerbesteuer erhielt. "Wir müssen deutlich unterscheiden zwischen
dem Bilanz-Gewinn eines Unternehmens und dem so genannten
steuerpflichtigen Gewerbe-Ertrag, der für die Gewerbesteuer maßgeblich
ist", dozierte er. Diese Unterschiede zwischen dem ausgewiesenen
Gewinn, dem realen und dem versteuerten, über den das Steuer-Geheimnis gnädigerweise
den Mantel des Schweigens hüllt, vergrößern sich mehr und mehr. Der
Pharma-Riese zahlte erstmals im Jahr 1999 an seinem Leverkusener Stammsitz
keine Gewerbesteuer mehr und dann nochmals 2001 und 2003, während es -
bei deutlich niedrigeren Erträgen - 1990 noch 123 Millionen Euro waren.
An den Standorten Dormagen, Wuppertal, Brunsbüttel und Krefeld flossen
die Gelder ebenfalls zunehmend spärlicher. Gründe dafür fanden sich
immer: Pensionsrückstellungen, der LIPOBAY-GAU oder die schlechte
Konjunktur. In Wirklichkeit lag es aber an den Rechenkünsten der
Steuer-Abteilung und den sich ständig vergrößernden Steuer-Schlupflöchern.
Die Hiobsbotschaften aus der Konzern-Zentrale veranlassten die
Kommunal-PolitikerInnen regelmäßig, Haushaltssperren zu verhängen.
"So viele Schwimmbäder können wir gar nicht schließen, um die
Steuer-Ausfälle aufzufangen", stöhnte der Leverkusener Oberbürgermeister
Paul Hebbel vor drei Jahren. Seitdem kürzt u nd streicht die Kommune an
allen Ecken und Enden, ohne aus der Bredouille zu kommen. Im Jahr 2004
machte die Industrie- und Handelskammer einen drastischen Spar-Vorschlag,
der den Verkauf des Rathauses, die Privatisierung der Verkehrsbetriebe,
des Parkhauses und der Schulgebäude-Reinigung vorsah. Aber nicht mal das
konnte Leverkusen wieder finanziellen Handlungsspielraum verschaffen.
"Das alles reicht nicht aus, um wieder Land zu sehen",
konstatierte der CDU-Politiker Klaus Hubbert resigniert. Gleichzeitig
schrumpfte die an das Land zu zahlende Körperschaftssteuer, weil ihr ein
ähnlicher Bemessungsschlüssel wie der Gewerbesteuer zugrunde liegt. Im
Jahr 2002 erhielt BAYER sogar eine Rückzahlung in Höhe von 250 Millionen
Euro. Mehr oder weniger ein interner Rechen-Vorgang. Der ehemalige
Steuer-Chef des Leverkusener Chemie-Multis, Heribert Zitzelsberger, war nämlich
als Staatssekretär ins Finanzministerium gewechselt und tat dort das, was
er sonst auch immer gemacht hat: BAYER so viel Steuern wie möglich zu
ersparen. Die unter seiner Federführung entstandene
"Unternehmenssteuer-Reform" senkte den Körperschaftssteuersatz
von 40 auf 25 Prozent ab. Wenn die Unternehmen ihren zu den alten
Bedingungen versteuerten Gewinn nachträglich an die AktionärInnen ausschütteten,
konnten sie sogar noch rückwirkend in den Genuss der Herabsetzung kommen.
Der Pharma-Riese ließ sich das nicht zweimal sagen, erhöhte seine
Dividende auf astronomische 1,40 Euro und erhielt vom Finanzamt 250
Millionen zurück. Zudem stellte das Gesetzes-Werk Veräußerungsgewinne
steuerfrei. BAYER brauchte aus diesem Grund für den Erlös aus dem
Verkauf seiner Beteiligung an der EC ERDÖLCHEMIE keinen Cent an den
Fiskus abzuführen. Parallel dazu erleichterten Zitzelsberger & Co.
den Kauf von Unternehmen oder einzelner Teile, wovon der Gen-Gigant
zuletzt beim Erwerb der ROCHE-Sparte "rezeptfreie Medikamente"
gehörig profitierte.
"In Deutschland können als einzigem Industrie-Land der Welt alle
Ausgaben (auch Schuld-Zinsen für Beteiligungen) de facto voll steuerlich
abgesetzt werden", ereifern sich Jarass und Obermair in ihrer Kritik
der "Reform". Darum wählen die Multis bevorzugt die
Bundesrepublik aus, um derartige "Unkosten" abzusetzen. Auf 100
Milliarden "Verlust-Vortrag" kommen die 30 DAX-Unternehmen
zusammen; BAYER schiebt Miese von fast zwei Milliarden Euro vor sich her,
weshalb selbst zwei Jahre mit Milliarden-Gewinnen wie 2001 und 2002
steuer-technisch ein Nullsummenspiel ergeben würden. Zu allem Überfluss
darf der Pillen-Produzent seine Aufwändungen für ROCHE samt der fälligen
Zinsen den Finanz-Behörden in Rechnung stellen, obwohl die neue
BAYER-Tochter mit ihrem Sitz in Basel hierzulande gar keine Abgaben zahlt.
Auf ein Nichts noch über Jahre steuermindernde Abzüge zu bekommen - das
geht nur in der Steuer-Oase Bundesrepublik. Dank der billigen Zinsen
greifen die Firmen bei ihren Investitionen zunehmend auf Fremdkapital zurück.
Bei BAYER ging die Eigenkapital-Quote vom 1999er Höchststand 48 Prozent
kontinuierlich auf 32,6 Prozent im Jahr 2003 zurück. Solche
Zins-Transaktionen und andere Finanz-Operationen des Konzerns wickelt
BAYER INTERNATIONAL ab. Die Gesellschaft sitzt in Belgien, weil dort
keinerlei Körperschaftssteuern anfallen. So zahlte sie 2002 für einen
Gewinn von 96 Millionen Euro nur 0,61 Prozent Steuern: 0,58 Millionen. Die
EU-Wettbewerbsbehörde sieht in dem unmoralischen belgischen Angebot eine
illegale Subventionsvergabe und forderte Maßnahmen. BAYER und die anderen
im "European Roundtable of Industrialists" (ERT) organisierten
Multis erreichten einen Aufschub bis mindestens 2010. Aber nicht nur mit
Kauf und Verkauf, auch mit Gewinn/Verlust-Zahlenakrobatik sparen die
Multis dank der Unternehmenssteuerreform gehörig. Das Regelwerk schuf das
Konstrukt der Organschaft, welches die Verrechnung von Gewinnen und
Verlusten innerhalb eines Konzern-Verbundes ermöglicht. Dabei kam stets
die Formel zur Anwendung, die Gewinne in Ländern mit niedrigen Steuer-Sätzen
und die Verluste in denen mit offiziell hohen anfallen lässt. Global
gehandelte Medikamente wie ASPIRIN eigneten sich dabei besonders gut als
Manövriermasse. Der Pharma-Riese berechnet seinen Tochter-Gesellschaften
nicht nur Lizenz-Gebühren, sondern auch Herstellungskosten. Der
Preis-Gestaltung sind kaum Grenzen gesetzt, seit der Bundesfinanzhof die
Firmen im Jahr 2001 von der Verpflichtung enthob, Nachweise für die
Kalkulationen zu erbringen. "Wie soll man als Finanz-Fahnder
kontrollieren, ob die Herstellung von 20 ASPIRIN-Tabletten drei Euro oder
drei Cent koste t?", fragt ein Beamter in "Asoziale
Marktwirtschaft" ratlos. Nach seiner Ansicht wären die Global Player
auch dumm, wenn sie ihre Gewinne nicht in Billigsteuer-Länder verschieben
würden. "Und den Pharma-Konzernen kann man vieles vorwerfen, aber
ganz gewiss nicht, dass sie dumm sind. In dieser Hinsicht gehören sie zu
den Klügsten", stellt der Fahnder fest. Auch ein neuer
Erlass-Entwurf des Finanzministeriums, der einen Kontroll-Abgleich intern
und extern berechneter Preise erlaubt, dürfte ihrer Schlauheit kaum
Grenzen setzen. Den Finanz-BeamtInnen ist es aufgrund des
Steuergeheimnisses nämlich nicht gestattet, sich vor den Finanzgerichten
auf diese Informationen zu berufen. "Wir haben mit Herrn
Zitzelsberger unseren besten Mann entsandt und gehen davon aus, dass er in
unserem Sinne tätig wird", kommentierte der damalige
BAYER-Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider auf der Hauptversammlung im
April 1999 den Wechsel seines Steuer-Chefs ins Eichel-Ministerium sinngemäß.
Diese Erwartungen hat Heribert Zitzelsberger bis zu seinem plötzlichen
Tod Ende 2003 mehr als erfüllt. Aber auch seine Vorgänger haben schon
ganze Arbeit geleistet. Sie räumten BAYER & Co. unter anderem großzügige
Abschreibungsmöglichkeiten ein. So setzten die Multis fleißig
Wert-Verluste für Anlagen und andere Güter in ihre Bilanzen ein und häuften
damit "stille Reserven" en masse an. In anderen Ländern wie z.
B. den USA gelänge ihnen das nicht. Dort können sie eine solche Regelung
nur in Anspruch nehmen, wenn ein Verkauf stattfindet und sich die
Wert-Minderung tatsächlich realisiert. Und das Finanzamt? Schaut es den
Abschreibungskünsten, Gewinn/Verlust-Akrobatiken und sonstigen
Steuer-Jonglierereien tatenlos zu? Ja. Die BetriebsprüferInnen seien
"absolut chancenlos", sagt ein Wirtschaftsanwalt, welcher der
Industrie für einen Stundenlohn von 600 Euro tausend ganz legale
Steuer-Tricks verrät. "Irgendeine Lücke gibt es immer, in jedem
System. Ich werde dafür bezahlt, sie zu finden", so der Mann für
alle Fälle. Manchmal muss er sich nicht einmal sonderlich anstrengen. Die
JuristInnen von BAYER & Co. wirken nämlich schon bei der Gestaltung
der Gesetze mit und bauten die Schlupflöcher gleich mit ein. Entsprechend
mager schätzt der Konzern-Prüfer Dietmar Prugger seine Erfolgsaussichten
ein. "Die Betriebsprüfung kann nur die gröbsten Missstände
beseitigen", gesteht der Finanzbeamte. Noch dazu trifft es dabei am häufigsten
mittelständische Betriebe. "Am meisten geprüft wird bei den
Kleinbetrieben, am wenigsten bei den Großbetrieben. So macht man
Wirtschaftspolitik", weiß Prugger. Wirtschaftspolitik dieser Art hat
die Steuern auf Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit von 1980 bis
2003 nur um das Anderthalbfache, von 50 auf 71 Milliarden Euro anwachsen
lassen, bei exorbitanten Gewinn-Sprüngen, während das Aufkommen aus
Lohnsteuer und Sozialabgaben im gleichen Zeitraum um das 2,8fache stieg,
von 150 auf 420 Milliarden. Der offizielle Steuer-Satz von 40 Prozent auf
Gewinne blieb für die Finanzämter ein schöner Traum: Tatsächlich
zahlten BAYER und die anderen 29 DAX-Unternehmen durchschnittlich nur etwa
10 Prozent! Die Differenz landete unter anderem bei den AktionärInnen. Dürften
die Konzerne abzüglich der 40 Prozent Steuern eigentlich nur 60 Prozent
ihres Gewinnes ausschütten, also das Anderthalbfache, so beglücken sie
die ShareholderInnen mit dem Zwei- bis Fünffachen der Summe. "Diese
Diskrepanz weist auf erhebliche Defizite bei der Steuer-Erhebung
hin", bemerken Jarass und Obermair. EU-weit bittet nur Griechenland
die Konzerne weniger zur Kasse. Da hält sich sogar das Wirtschaftsorgan
Handelsblatt mit Kritik zurück: "Im internationalen Vergleich ist
Deutschland eine Steuer-Oase. Kapital-Gesellschaften leisten en bloc überhaupt
keinen Beitrag mehr zur Staatsfinanzierung (...) Die Steuer-Last, über
die die deutsche Wirtschaft klagt, ist eher ein Phantomschmerz." Bald
gibt es vielleicht noch weniger Grund zur Klage. Lorenz Jarass prophezeit
einen weiteren Sinkflug der Unternehmenssteuern. Da bleibt nur das Fazit
der "Asoziale Marktwirtschaft"-Autoren: "Was wir
herausgefunden haben, lässt sich auf den einfachen Satz bringen: ,Die
Konzerne plündern den Staat aus, auf jede nur erdenkliche Weise - immer
gedeckt durch die Gesetze".
Vorabdruck aus "Stichwort BAYER" 4/2004. Gerne senden wir ein
Probe-Exemplar zu: CBGnetwork@aol.com
"Asoziale Marktwirtschaft"; Hans Weiss/Ernst Schmiederer; 341 S.
"Geheimnisse der Unternehmenssteuern"; Lorenz Jarass/Gustav M.
Obermair; 180 S. Beide Bücher sind beim j5A-Versand zu bestellen: www.j5A.net
Coordination gegen BAYER-Gefahren CBGnetwork@aol.com
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